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Seite:Die Gartenlaube (1898) 0180.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Veronika sieht mir nicht aus, als ob sie ein liebreiches Herz hätte – mit dem Gelde des Berliner Kavaliers hätte auch ihre Liebe ein Ende genommen und in irgend einem Armenhaus einer armen Gemeinde hätte man dich untergebracht.“

„Wohl, er hat sich meiner angenommen, doch nicht um meinetwillen, sondern um seiner selbst willen, und so ist’s geblieben! Meine Pflegemutter, die kranke Frau, brauchte eine Puppe und er hat sie ihr verschafft. Als sie verstorben und ich aus den Puppenkleidern herausgewachsen war, da suchte er von mir so viel Nutzen zu ziehen als möglich; das will er auch jetzt, nun er mich zwingt, den reichen Bauern zu heiraten. Und da sollte ich mich nicht weigern dürfen, da müßt’ ich blindlings gehorchen, obschon er nicht mein rechter Vater ist?“

„Sei guten Muts, mein Kind,“ tröstete sie der Alte. „Du bist in meinem Schutz und ich habe jetzt auch ein Recht mitzusprechen. Er ist ein wenig in meiner Gewalt; er hat die Sache bisher sehr geheim gehalten und die Welt glauben machen wollen, du seiest sein eigenes Kind! Die Frau war, wie ich später gehört, sehr oft in Bad Landeck, und da oben im Glatzer Land wird er auch bei den Gerichten den Hokuspokus gemacht haben. Das werd’ ich alles noch erfahren; und für den braven jungen Mann und eure Liebe will ich eintreten, so viel ich’s vermag!“

Schon waren sie in der Mitte von Schreiberhau angekommen, dort, wo das Dorf, sonst weit an den Berglehnen zerstreut, sich im bequemen Thalgrund ausbreitet. Welch’ reges Leben herrschte hier – überall Jäger in ihren schmucken Uniformen, fröhlich und kampfesmutig! Lieder ertönten aus den Häusern am Wege, wo sich kleine Trupps zusammenfanden; auf einer Wiese wurden Rekruten einexerziert, auch ein Gespann mit Geschütz und Protzkasten jagte auf der Hauptstraße vorüber. Das ganze Dorf schien ein großes Heerlager zu sein. Von allen Seiten strömten damals zum Grafen Götzen, der im Glatzer Land die trotzige Bergfeste von den Franzosen zu befreien suchte, Freischaren herbei, die sich aus allen Ständen rekrutierten: Jünglinge der Hochschulen, junge Beamte und Gutsbesitzer, ganz wie sie später im Jahre 1813 zum Lützowschen Freikorps strömten oder sonst in die Reihen der Kämpfer eintraten. Doch sie wurden mit hineingerissen in den Strudel der allgemeinen Niederlage, als die preußisch-russischen Heere in den blutigen Schlachten auf ostpreußischem Boden besiegt wurden. Tonlos verhallte „ihr Trompetenruf im Morgengrauen“ und „das Schwert an ihrer Linken“ sehnte sich vergebens nach der Leier des Sängers, der ihre Thaten gefeiert hätte. Ein flüchtiges Aufblitzen und ein langes Dunkel der Vergessenheit – das ist das Los der sieglosen Tapferkeit, welche die Geschicke der Welt nicht wenden kann.

Ueberall, wo Rübezahl und sein Enkelkind weiterschritten, begegneten sie schmucken jungen Freischärlern, welche das in ihr Feldlager sich wagende Mädchen freundlich grüßten. Das Hauptquartier war in der Wohnung des Schulzen; dort hoffte sie auch Robert zu finden, der als junger Offizier zu den Führern der Truppe gehörte. Rübezahl begab sich in die Schenkstube, wo an einem langen Holztische die Befehlshaber und Verwaltungsbeamten der Truppe Platz genommen hatten. Das Bureau mußte sich mit den ländlichsten Schreibmitteln begnügen; die Kellerräume und Ställe des Besitztums waren zum Proviantmagazin eingerichtet.

Rübezahl war allen wohlbekannt. Man ging und rief ihm entgegen; man wußte, daß er Depeschen brachte, von denen die weiteren Bewegungen der Truppe abhängig waren, und in der That holte er aus seinem Stiefel ein Schreiben des Grafen von Götzen hervor, der einen Teil der Mannschaften zu sich ins Glatzer Land entbot, während ein anderer die Bewegungen der Franzosen im Hirschberger Thal beobachten und die Bergübergänge schützen sollte.

Als die Beratung, welcher Rübezahl beiwohnen durfte, zum Abschluß gekommen war, teilte er dem Lieutenant Robert die Anwesenheit des Mädchens mit. Blitzschnell beurlaubte sich dieser und flog hinaus, wo unter einer Eiche vor dem Nachbarhause Klärchen seiner wartete. Rübezahl, der den Besitzer wohl kannte, führte sie selber in den Garten, in welchem das Gebüsch noch in unverkümmertem Waldwuchs die Wege säumte. Er setzte sich da auf eine Bank, während die Liebenden nach zärtlicher Umarmung und glühenden Küssen auf und ab gingen, Arm in Arm.

„Wie freue ich mich, daß du hierhergekommen,“ sagte Robert, „welch’ ein schöner Beweis deiner Liebe!“

„Ich fürchtete, dich nicht wiederzusehen, ehe du in den Kampf zogst.“

„Unsere Zahl ist noch nicht groß genug und wir müssen hier auf der Wacht stehen. Das Einexerzieren der Rekruten geht langsam, mit unbrauchbaren Truppen ist dem Grafen Götzen aber nicht gedient. Es ist möglich, daß ich deinen Besuch erwidern kann. Wie ich dir schrieb, ist die Feste Kynast scharf ins Auge gefaßt worden, ob sie sich zu einem kleinen Waffenplatz eignet, und ich werde sie vielleicht inspizieren.“

„O, dort oben ist’s schön und Vater darf nicht scheel sehen zu unserer Liebe, wir wollen dort kein Geheimnis daraus machen. Denn was den Vater angeht, so hab’ ich Dinge erfahren, merkwürdige Dinge; sie setzen mich vielleicht herab in deinen Augen, aber sie geben mir einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft.“

Und Klärchen erzählte die Begegnung mit Veronika und was diese über ihre Herkunft mitgeteilt.

Robert hörte aufmerksam zu und schloß die Geliebte innig ans Herz. „Glaube doch nicht, daß ich mich um Dinge kümmere, die über uns verhängt sind ohne unsere Schuld. Du bist mein liebes Mädchen und sollst mein liebes Weib werden, wenn auch nicht der wackere Bergführer Rübezahl, sondern der alte Berggeist selbst dein Ahn wäre, der jedenfalls ein großer ungetaufter Heide ist. Was kümmert mich das Dunkel, das über deiner Geburt schwebt? Licht ist wo du wandelst, und licht wird meine Seele bei deinem Anblick! Sollte Vater Rübezahl mit dem Burgkapitän, der sich alle Vaterrechte erkauft hat, ein gewichtiges Wort zu unseren Gunsten sprechen, so könnte uns das vielleicht nützen; er ist jetzt im Besitze eines Geheimnisses, das deinem Pflegevater vielleicht unbequem sein kann! Doch wir hängen nicht ab von solcher Hilfe; unsere eigene Liebe ist stark genug, um den Sieg zu erringen.“

„Und wenn wir einmal in einem stillen Pfarrhause wohnen –“

„Da möge Gottes Segen über uns walten; in meiner Liebe sollst du dann einen Ersatz dafür finden, daß du ohne den Segen treuer Elternliebe hast aufwachsen müssen.“

„Ach, ich denk mir’s so schön im Pfarrhaus! Eine hohe Linde vor der Thür –“

„Und mein bescheidenes Studierzimmer, dem sie die Blüten ins Fenster schüttet.“

„Und da gehst du auf und ab und lernst deine Predigt und ich sitze daneben mit meinem Nähzeug und scheuche die Bienen fort, die von den Lindenblüten genascht haben und herbeigeflogen kommen, um dich durch ihr Summen zu stören.“

„Und wenn du über die Straße gehst, da grüßen alle Bauern tief die ehrwürdige Frau Pfarrerin – kleine Ehrwürden du.“

„Und in die Küche bringen sie mir Wurst und Schinken, Eier, Butter und Mehl und allerlei, was das Feld und der Stall liefert.“

„Die Küche wird deine Freude, aber die Kirche wird dein Stolz sein.“

„Gewiß, wenn ich da im Kirchenstuhl sitze und du auf der Kanzel stehst und alle sehen auf dich – da wird Gottes Wort mich ergreifen wie alle andern, aber ganz im stillen, so nebenbei werd’ ich doch denken: der so kräftiglich da oben spricht und so die Herzen bewegt, das ist mein lieber, mein einziger Mann, und ich kann stolz auf ihn sein, und die Liebe, die er predigt, ist ja lebendig in ihm und waltet Tag für Tag in unserem Hause und beglückt mich mein Leben lang.“

In diese Friedensträume schmetterten auf einmal die Hörner zu einem Uebungsmarsch. Robert mußte sich von Klärchen trennen nach einem herzlichen, innigen Abschied, und auch vom alten Rübezahl schied er mit einem warmen Händedruck.

„Ich bringe dich jetzt nach Hermsdorf zurück,“ sagte dieser. „Doch im Vorbeigehen will ich bei Veronika anfragen, wo das Grab meiner Tochter ist. Und dann hält mich nichts mehr, ich gehe nach Flinsberg, um die Ruhestätte deiner armen Mutter aufzusuchen.“

„Zweifle nicht daran,“ versetzte Klärchen, „wenn ich dich auch heute nicht begleiten kann: es wird dort, wo meine Mutter ruht, auch noch Platz sein für meine Rosen und meine Thränen.“


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0180.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2024)
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