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Seite:Die Gartenlaube (1898) 0182.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Kaum hatte Leontine erfahren, daß Klärchen auf die Burg zurückgekehrt sei, als sie nach Hermsdorf an den Geliebten schrieb und ihn einlud, am nächsten Nachmittag die Burg zu besuchen, wo sie dann mit ihm zusammentreffen und ihn mit dem kleinen Schutzgeist bekannt machen wolle.

Leontine war in großer Aufregung. Der Vater war aus Breslau zurückgekehrt, wie sich bald zeigte, in einer Stimmung, die ihrem Liebeshandel durchaus ungünstig war. Früher war er gleichgültiger gewesen und geneigt, die Dinge dieser Welt gehen zu lassen, wie sie eben gingen. Vor Napoleon, der das Schicksal Europas in seiner Hand hielt, hatte er einen großen Respekt; er wich der Begegnung mit französischen Offizieren nicht aus, obschon er keineswegs sein preußisches Gewissen und die Bewunderung für den Großen Friedrich aufgegeben hatte. Jetzt aber kam er zurück mit einem ingrimmigen Groll gegen die Fremdherrschaft. Einige seiner Freunde hatten über französischen Uebermut, der ihnen persönlich nahe getreten war, sich zu beklagen; auch der Druck, der auf dem Volke lastete, die Kontributionen waren empfindlicher geworden, und der alte Baron sprach sich in erbitterten Ausdrücken über die Landesfeinde aus. Er setzte jetzt alle seine Hoffnungen auf den Sieg der preußisch-russischen Heere in Ostpreußen und auf den Befreiungskampf des Grafen Götzen. Er billigte den Entschluß der Nachbarn, Kurt und Friedrich, sich an diesem Kampfe zu beteiligen und so von ihrer ritterlichen Vaterlandsliebe ein rühmliches Zeugnis abzulegen.

Leontine lächelte über das Lob, das der Vater ihren Freiern und Bewerbern erteilte; sie wußte ja am besten, was es damit für eine Bewandtnis hatte ... Ohne die selig unselige Kunigunde wäre sie nicht auf den glücklichen Gedanken gekommen, die tapferen Junker in den Krieg zu schicken und zwei tüchtige Kämpfer fürs Vaterland anzuwerben.

Ein böses Lächeln glitt über ihre Lippen; sie war im Herzen eine Französin und in französischer Bildung aufgewachsen. Das letztere hatte sie ja gemein mit dem Großen Friedrich und wenn sie auch Voltaire nicht wie dieser zur Tafel einladen konnte, sie selbst lud sich oft genug bei ihm zu Gast und schwelgte in seinen Werken. Geist, Witz, Leidenschaft, das war, was sie verlangte, was sie besaß – und das deutsche „Bärentum“ konnte ihr nur wenig davon bieten. Der Krieg zwischen Frankreich und Preußen war ihr peinlich; sie kümmerte sich anfangs wenig darum. Das Reich der Frauen war für sie das Reich der Liebe, der Leidenschaft, und da giebt es keine Grenzpfähle; die schwarzen Adler Preußens und diejenigen der Legionen des Cäsar mochten sich zerfleischen: das war ein Kampf hoch in den Lüften; hier auf Erden gab es für die Frauen andere Kämpfe, Herzenskämpfe mit ihren Siegen und Niederlagen, die nicht in die Bücher der Geschichte kommen. Seitdem sie aber ihr Herz an den französischen Offizier verloren, da war auch etwas über sie gekommen von seiner Begeisterung für den großen Bonaparte. Die großen Männer gehörten ja allen Nationen an; ob Friedrich oder Napoleon, preußische oder französische Uniformen, darauf konnte es ihr nicht ankommen! Das Genie trägt keine Uniform, es erhebt sich in erzener Gestalt auf seinem Piedestal, bewundert von seiner Zeit und allen Zeiten.

Leontine hatte einen lebhaften Geist, oft übersprudelnd, geneigt zur spöttischen Beleuchtung der Dinge, und ein leidenschaftliches Wollen, das auf den Genuß der Gegenwart gerichtet war. Ihr Herz war eines feurigen Pulsschlages fähig; doch ein Gemüt, das in seinen Tiefen eine stille und dauernde Liebe trägt, war ihr versagt. Nur eine Liebe verstand sie, jene, die den zweifellosen Rausch des Augenblicks gewährt.

Sie hatte dem Geliebten geschrieben, er möchte sich als ein Maler aus Süddeutschland auf der Burg einführen. Er zeichnete aus Liebhaberei und führte das Malergerät bei sich. Das würde ihn dann zu einem längeren Aufenthalt auf der Burg berechtigen; er konnte auch auf den inneren Höfen malerische Motive für seine Bilder suchen.

Leontine war zuerst oben angekommen und allein; sie hatte ihrer Begleiterin, der dicken Lotte, einen neuen Roman von Julius von Voß in die Hand gegeben und sie auf der Aussichtsbank am Wege zurückgelassen. Sie wußte, diese Erzählung würde sie so fesseln, daß sie die Zeit darüber vergaß. Julius von Voß, dieser Meister der Wachtstubenlitteratur, war zwar Konterbande auf Schloß Giersdorf; der alte Baron, obgleich selbst kein Heiliger, hätte doch nicht zugegeben, daß seine Tochter diese Romane lese, und Leontine selbst fand keinen Geschmack daran. Sie waren ihr zu roh und gemein, es fehlte ihnen die französische Grazie wie sie den Regungen ihrer eigenen leidenschaftlichen Natur entsprach. Und dennoch schmuggelte sie diese Romane ins Haus, nur um der dicken Lotte willen, deren Teilnahme für diese kecken Schilderungen durch keinerlei Bedenken gestört wurde. War die Begleiterin verdrießlich, gelangweilt, störend – ein Band von Julius von Voß wirkte auf sie zerstreuend und beruhigend, und da die Erbin des alten Namens keine eigenen Gedanken hatte, denen man sie in solchen Augenblicken überlassen konnte, so gaben diese Romane das willkommenste Ersatzmittel. Sie blieb wie festgebannt, sie sah und hörte nichts, wenn ihre träge Phantasie durch die Bilder erhitzt wurde, welche die Wachtstubenplaudereien des in seiner Lebenswahrheit höchst ungenierten Schriftstellers ihr entrollten.

Leontine fand Klärchen sehr bereit, ihr zu helfen. Dem Vater gegenüber lebte schon lange in der Seele des Mädchens ein trotziges Gefühl, das sich auflehnte gegen sein Machtgebot. Nach den letzten Enthüllungen über ihre Vergangenheit hatte sich dies Gefühl verstärkt. Hinter seinem Rücken zu handeln, gebot ihr ja schon die eigene heimliche Liebe, und es war kaum ein neuer Frevel, wenn sie eine fremde ihm verbergen half. Leontine bat sie, die Aufmerksamkeit des Vaters von dem Maler abzulenken. Der Burghauptmann liebte berauschende Getränke und lebhafte Gespräche. In solchen Augenblicken sollte sie den Maler, unbemerkt von dem Alten, in den inneren Burghof führen, und auch Leontine hoffte sich dann dort zuweilen einschleichen zu können.

Es galt, alsbald den ersten Versuch zu machen, denn schon ward Edmond de Granville sichtbar, der heraufstieg und sich dem vorderen Thore näherte, in seinen Händen den leichten Feldstuhl des Malers und den Kasten mit Farben und Leinwand für die Skizzen, die er hier auszuführen gedachte.

Beide Mädchen erschienen alsbald am Vorthor und Leontine stellte ihrer Freundin den Maler Hartwig vor. Klärchen hatte sich immer einen Künstler mit blondem Gelock und schwärmerischem Augenaufschlag gedacht und war überrascht von dem dunklen Kolorit und dem feurigen Blick, dem schwarzen Haar und dem Knebelbart, der in Preußen fremdartig berührte. Doch der Maler kam ja aus Süddeutschland.

„Das ist mein Freund,“ sagte Leontine, „und hier diese Kleine wird uns in ihren Schutz nehmen. Sieh ihr nur nicht zu tief in die Vergißmeinnichtaugen; ja, solche Schutzengel sind gefährlich; doch du würdest zu spät kommen, sie hat bereits ihren Einzigen gefunden und sich gerüstet für den Erdenjammer, der in einer treuen Liebe besteht.“

Klärchen schüttelte dem Maler die Hand mit unbefangener Herzlichkeit.

„Sie ist unsere Pförtnerin,“ fuhr Leontine fort, „dort oben sitzt der alte Cerberus mit dem lebensgefährlichen Schnauzbart, ihr Papa, der Schloßhauptmann. Das ist unser geborener Feind und den mußt du zu meiden suchen. Geh’ seinen Blicken hübsch aus dem Weg; das ist nicht so schwer wie es scheint, denn er guckt immer ins Liqueurglas. Und jetzt, schnell über den Platz, dort in das Thor, das zu dem inneren Hof führt. Er ist leer, Klärchen?“

„Es sind jetzt keine Fremden darin.“

„Wenn sich heute oder ein anderes Mal Besucher nahen, so sorgst du also, daß er von niemand überrascht wird.“

„Ihr könnt sicher sein, ich führ’ es treulich durch, nun ich’s übernommen habe.“

Edmond war inzwischen in den zweiten Hof getreten, wo er sich eine geeignete Stelle suchte, um dem alten Gemäuer die am meisten malerische Seite abzugewinnen. Seinen Feldstuhl klappte er auf, öffnete seinen Malkasten und begann, mit einigen Pinselstrichen die Umrisse zu markieren, die er dem Mauerwerk auf seinem Bilde geben wollte. Ungeduldig lauschte er dabei, ob nicht Leontine käme, doch er billigte ihre Vorsicht: sie wollte ihm offenbar Zeit lassen, erst eine Probe seiner Künstlerschaft zu geben, um vor etwa hinzukommenden Neugierigen sich als Maler ausweisen zu können und seine geheimen Absichten zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0182.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2024)
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