verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
|
verbergen. Der Schloßhauptmann hatte sich erhoben und war vor dem Burgthor auf- und abpatrouilliert. Leontine wollte nicht gerade vor seinen Augen hindurchschlüpfen. Dann erschien sie mit Klärchen; doch diese verschwand bald wieder, um die Liebenden allein zu lassen.
Es war so traulich im Hofraum; um die auf dem Schutt blühenden Disteln schwebten farbige Schmetterlinge. Edmond kannte die Sagen der Burg, die Leontine ihm erzählt hatte, und er mußte daran denken, daß hier in diesem Hofe das böse Fräulein gewiß öfters mit ihren Freiern gewandelt sei, auf ihren Lippen das süße halsbrechende Lächeln. Damals standen die Mauern der Burg sturmfest, stolz und trotzig und kein fallendes Gemäuer bedrohte die Lustwandelnden. Doch Leontine war keine Kunigunde – so glaubte Edmond; für ihn war sie es nicht; sie verlangte nicht, daß er sein Leben aufs Spiel setze, um ihr Herz und ihre Hand zu gewinnen. Freilich, da, wo sie nicht liebte, war auch sie imstande, mit der siegenden Gewalt ihrer Schönheit den Kühnen Verderben zu bringen, die um sie zu werben wagten.
In leidenschaftlicher Hingebung hielt sie den Geliebten umschlungen, glühende Küsse drückte sie auf seine Lippen – was war ihr die ganze Welt in diesem Augenblick! Mochten sie kommen und sehen, staunen und verdammen – alle, alle! Sie bot ihnen Trotz, den Ihrigen, die sie bevormunden wollten, den Fremden, die Anstoß nahmen an so leidenschaftlicher Begegnung, und mochte ein Erdbeben die alte Burg zertrümmern, sie wäre froh gestorben an seinem Herzen!
Edmond war weniger übermütig und entschlossen; er bewegte sich hier unter einem falschen Namen in Feindesland; es konnte ihm durch irgend einen Zufall viel Unholdes begegnen. Den alten Burgherrn selbst hatte er von ferne gesehen; dieser hatte den Schnauzbart der preußischen Husaren, die beim Einhauen keine Schonung kannten! So griff er, sobald sich draußen am Thore etwas regte oder auch nur eine Eidechse durchs Gras raschelte, rasch wieder zu seinem Malkasten und seinem Pinsel. Aber Leontine gefiel sich nicht in der Rolle einer lauschenden Beobachterin, welche den Künstler und das Werk, das unter seinen Händen wuchs, bewunderte.
Sie nahm und schloß seinen Malkasten, warf ihn auf eine steile Rasenböschung, die sich in den Burghof hineinschob, und zog den Geliebten wieder stürmisch an sich.
Da zeigte sich Klärchen und verkündete, daß Fremde nahten. Leontine eilte zu ihr, um als ihre Begleiterin zu erscheinen, und Edmond griff rasch wieder nach seinen Farben.
Der erste Versuch eines Rendezvous im Reiche der Kunigunde und unter dem Schutz dieser zweideutigen Heiligen war gelungen; es lag zwar immer allerlei Bedrohliches in der Luft, doch ließen sich gewiß nach einiger Erfahrung Mittel zur Abwehr finden.
Und in der That wurden die Liebenden kühner in ihren Wünschen.
Das Erdgeschoß des runden Wartturmes war früher ein Gefängnis gewesen; der Turm, der für unbesteigbar galt, obschon mittels Leitern der einfallenden Treppe leicht nachgeholfen werden konnte, blieb von den Besuchen der Fremden verschont. Das Erdgeschoß war ein willkommenes Versteck, welches Klärchen, die Schlüsselverwalterin, allein öffnen und schließen konnte. Hier sollte sich Edmond gelegentlich auch vor dem Kastellan verstecken, der in letzter Zeit bisweilen die Burghöfe inspizierte, wahrscheinlich im Hinblick auf die etwa bevorstehende Einquartierung, und an der häufigen Anwesenheit des Malers leicht Anstoß nehmen konnte. Wenn sich Klärchen indes dazu verstand, dem harrenden Liebhaber hier eine erwünschte Gefängnisstrafe zu diktieren, so räumte sie doch niemals seiner Geliebten das Recht ein, die Haft zu teilen. Sie las bisweilen so vermessenen Wunsch in Leontinens Augen, aber sie wachte über die gute Sitte auf dem alten Schloß und nur einer bräutlichen Liebe wollte sie hilfreich zur Seite stehen.
(Schluß folgt.)
Brunnen- und Badekuren.
Es ist keine neue Mode, wie dies mancher brummige Ehegatte, dessen Frau ins Bad geschickt wird, oder mancher behäbige Sitzmensch, dem die Reise in einen Kurort verordnet wird, behauptet, sondern eine uralte Gepflogenheit der Aerzte, wenn sie mit ihrem Latein zu Ende sind, den Kranken eine Badereise anzuraten. So war es schon in der alten Römerzeit, als sich vor nahezu 1900 Jahren der Badeort Bajae eines ganz besonderen Rufes erfreute, so daß daselbst die vornehme Welt Villen baute, die bewährtesten gichtbrüchigen Feldherren Bäder nahmen und schöne Frauen auf Eroberungen ausgingen. So war es im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, als hochfürstliche Persönlichkeiten mit großem Pompe und riesigem Gefolge nach Baden in der Schweiz, nach Gastein und Karlsbad zogen.
Was aber die Badereisen der Gegenwart von jenen altvergangener Zeiten unterscheidet, ist vorerst das bedeutungsvolle Moment, daß durch die hochentwickelten Verbindungsmittel unserer im „Zeichen des Verkehres“ stehenden Zeit es nicht nur den oberen Zehntausend, sondern auch den breiten Schichten der Bevölkerung ermöglicht ist, an den Heilquellen Hilfe zu suchen; und dann die richtigere Erkenntnis von dem Wesen und der Wirkungsweise einer solchen Kur.
Wenn man ursprünglich glaubte, die Quellen ständen unter dem besonderen Schutze von Göttern, und dieser Anschauung gemäß das Wirken der Heilwässer als etwas geheimnisvoll Göttliches in mystischer Weise zu deuten suchte, wenn später den Mineralwässern eine besondere Kraft, welche von dem „Brunnengeiste“ ausging, zugemutet ward – so hat die naturwissenschaftliche Erkenntnis gegenwärtig auch dieses Dunkel aufgehellt und dargethan, daß die Mineralquellen nicht etwa eigens für sie ersonnenen, sondern den allgemein gültigen Naturgesetzen unterworfen sind.
Wir wissen jetzt ganz genau, daß die Mineralwässer, auch wenn sie noch so heilkräftig sind, nicht einem Wunder ihr Emporquellen verdanken, sondern daß sie aus Regen- und Schneewasser ebenso wie die gewöhnlichen Trinkquellen entstehen, nur verändert durch die festen und flüchtigen Bestandteile, welche sie dem Boden während ihres Laufes durch denselben entziehen. Der hohe Wärmegrad, durch den sich viele Heilquellen auszeichnen, ist nicht, wie man früher annahm, stets das Resultat vulkanischer Thätigkeit im Innern der Erde oder gar durch eine geheimnisvolle Hexenküche erzeugt; die Ursache dieser Erscheinung ist vielmehr in der Regel eine andere: die heißen Quellen entstammen einer größeren Tiefe, und da die Eigenwärme der Erde nach bestimmten Gesetzen mit der Tiefe zunimmt, so ist die Tieflage der Wasserkanäle die Bedingung, von welcher die Bildung der „Thermen“ (heißen Quellen) abhängig ist. Wenn man den eigentümlichen fleischbrühartigen Geschmack mancher Thermen früher mysteriös auf eine Beimengung von Fleischüberresten vorsintflutlicher Tiere zurückführte, so weiß man jetzt, daß an jenem Geschmacke zersetzte Pflanzen, wie Algen und Conferven, schuld tragen, die sich in dem Mineralwasser finden. Und auch der „wilde Geist“, welcher die Quellen beleben und ihr Brodeln verursachen sollte, wurde vom Chemiker wirksam beschworen und zumeist als kohlensaures Gas entlarvt.
Wie die Entstehung und Zusammensetzung der Heilquellen dem Gebiete des Ueberirdischen und Unfaßbaren entrückt worden ist, so hat auch die Wirksamkeit derselben, lange Zeit vom Vorurteil und Aberglauben verschleiert, mit den Fortschritten der Arzneikunde immer schärfere Aufklärung gefunden. Die chemische Untersuchung der Quelle giebt hierzu den Schlüssel, und in dem Gehalte des Mineralwassers an festen und gasförmigen Stoffen sowie in seiner Temperatur liegt der Erklärungsgrund für die Wirksamkeit der Quellen, mögen diese zum Trinken oder Baden gebraucht werden.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0183.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)