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Seite:Die Gartenlaube (1899) 0276.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Seefahrt berichten zuerst von der Insel Thule. Wahrscheinlich mit Unterstützung der Kaufmannschaft von Massilia hatte er eine Expedition ausgerüstet, welche den Norden und Nordwesten Europas erkunden sollte; jedenfalls war er der Leiter derselben, nicht ein mitreisender Passagier oder untergeordneter Gelehrter. Durch die „Säulen des Herkules“ ging die Fahrt nach Britannien, und über das „dreieckige“ Albion hinaus bis zur Insel Thule, die sechs Tagfahrten nördlich von Britannien gelegen sein soll; ja Pytheas kam noch eine Tagfahrt darüber hinaus. Die Barbaren zeigten ihm die Stelle, wo die Sonne Ruhe habe; hier ist die Nacht kurz, nur etwa zwei Stunden, so daß nach dem Untergang nach kurzer Frist die Sonne wieder aufgeht.

Thule liegt nahe an dem „geronnenen Meer“, doch darf man darunter nicht das gefrorene Meer verstehen. Wo damals jene Schiffer nicht weiter vorzudringen wagten, da begann ihnen das „geronnene Meer“, sie waren überzeugt, daß sie ans Ende der Welt gelangt oder doch ihrer Grenze nahe seien, wo Erde, Luft und Meer zusammenrinnen und nicht mehr für sich bestehen – umhüllte doch dichter Nebel die Sonne, umschloß die Aussicht nach jeder Seite, kein Wind regte sich und die Tagesarbeit wurde den Ruderern schwerer und schwerer. Dies Meer des Pytheas war die wahre Grenze der geographischen Kunde der Alten gegen Norden. Im Jahre 84 n. Chr. suchte die Römerflotte des Agricola Thule auf; doch die Römer betraten die Insel nicht und die Flotte kehrte in Sicht derselben wieder um. Thule galt den Römern für die äußerste britannische Insel und so ist sie auch auf der römischen Weltkarte verzeichnet.

Wenn Pytheas seine Entdeckung dem Handelsverkehr seiner Vaterstadt dienstbar zu machen suchte, so war der Erfolg nicht der erwünschte; denn die Bewegungen der keltischen Völker hemmten diesen Verkehr.

Wo aber liegt diese geheimnisvolle Insel Thule, hinter welcher nach der Meinung der Alten die Welt aufhörte?

Lange Zeit hat man Island dafür gehalten. Doch ist für diese Annahme der Abstand Islands von Britannien zu groß, auch trafen die Normannen auf Island außer einigen Iren keine eingeborene Bevölkerung, während Pytheas von bewohntem Lande spricht, soweit er auch nach Norden kam. Auch Norwegen kann Thule nicht sein; dagegen spricht die Lage und Entfernung. Höchst wahrscheinlich ist es eine der Shetlandinseln gewesen.

Wenn man von dem sagenhaften Thule spricht, so muß man nur an das Altertum und nicht an das Mittelalter denken. Der hohe Norden war überhaupt ein Bereich, in dem sich die Phantasie der Alten frei ergehen konnte. Haben doch die Gelehrten im Zeitalter Plutarchs noch behauptet, daß Kronos auf einer heiligen Insel im hohen Norden jenseit Britanniens vom Schlaf gefesselt liege, von Briareos bewacht und von Dämonen bedient. Antonius Diogenes, ein Romanschriftsteller jener Zeit, der in seinen phantastischen Reisebeschreibungen an Jules Verne erinnern mag, erzählt in seinen „Unglaublichkeiten jenseit Thule“, daß ein Arkadier Dinas, um die Erde herumreisend, nach Thule gekommen sei, wo er eine Schönheit aus Tyrus gefunden habe, die mit ihrem Bruder durch einen ägyptischen Priester aus Tyrus vertrieben wurde. An dies Liebesabenteuer, das zuletzt die Liebenden in die syrische Handelsstadt zurückführt, knüpft sich eine phantastische „Nordpolexpedition“.

Wer aber Goethes „König in Thule“ liest, der wird nicht unmittelbar an diese Sagen des Altertums erinnert, der sieht vor Augen einen jener romantischen Nordlandskönige aus der Zeit der nordischen Heldensagen, und er wird zu wissen wünschen, in welchen Sagenkeis der greise Fürst eingesponnen ist, welcher dieser sagenhaften Dynastien er angehört.

Damit ist es nun freilich schlecht bestellt; von den Königen Thules ist in keinem mittelalterlichen Gedicht die Rede und die eifrigste Goetheforschung könnte nur zu dem Resultat kommen, daß Goethe diesen König frei erfunden hat. Wie einer der Erklärer meint, hat er den Namen Thule gewählt, des fabelhaften Scheines wegen, in welchen diese Insel gehüllt ist, vermutlich mit Berücksichtigung des Reimes auf „Buhle“. Die Ballade entstand im März 1774 und erschien zuerst in der älteren Fassung, die auch der „Urfaust“ aufweist, 1782 unter Seckendorffs „Volksliedern“ mit der Angabe, daß sie aus Goethes „Faust“ herrühre, und seit 1800 unter Goethes Balladen. Ob sie ursprünglich für den „Faust“ bestimmt gewesen, darüber gehen die Ansichten auseinander; einige glauben, es handle sich um eine anfangs selbständige Ballade. Die Frage von Treue und Untreue beschäftigte den jungen Dichter lebhaft nach seinem Sesenheimer Liebeshandel; zu der Sagengestalt des Königs von Thule mochte sein schwankendes Gemüt, das zu solcher Wahrung der Treue sich unfähig fühlte, bisweilen reuevoll aufblicken. Da der Dichter nun aber das Lied in seinen „Faust“ eingefügt hat, so muß man fragen, welche Bedeutung es für den Zusammenhang der großen Dichtung hat; denn wenn solche Bedeutung fehlte, würde es ja als ein ganz willkürliches Einschiebsel erscheinen. Offenbar steht das Lied von der Treue über den Tod hinaus in ergreifendem Gegensatz zu dem Schicksal, welches Gretchen droht; es ist daher ein ahnungsvoller Vorklang der Tragödie, die in Kerkernacht mit des unglücklichen Mädchens Wahnsinn endet.


Burg Lauenstein.

Von A. Trinius.0 Mit Abbildungen nach photographischen Aufnahmen.

Hoch über dem waldumrauschten, felsenzerrissenen Loquitzthale erhebt sich hart an der Grenze von Thüringen und Franken Burg Lauenstein. Seit ihrer 1896 begonnenen Wiederherstellung und inneren Ausschmückung ist Thüringen um ein Juwel deutscher Burgromantik reicher, zu dem man fortan wallfahren wird, um dann den Ruhm dieser neuentdeckten Stätte draußen im Reiche zu verkünden. Geschichte und Sage, Architektur und Landschaft klingen hier zu einem vollen Akkord zusammen.

Obgleich seit 1814 durch Austausch an Bayern gekommen und politisch seitdem zu Oberfranken zählend, ist die ehemalige Grafschaft Lauenstein trotzdem immer thüringer Boden gewesen, gleich dem benachbarten heute ebenfalls bayrischen Städtchen Ludwigstadt, wohin durch Jahrhunderte hindurch die Besitzer von Lauenstein ihren letzten Weg nahmen, wenn es aus war mit Liebe und Haß, Streit und Fehde. Sprache und Sitte, Tracht und protestantischer Glaube, alles ist thüringisch geblieben. –

Erst mit der Eröffnung der Bahnstrecke Saalfeld–Probstzella–Ludwigstadt und hinüber nach Oberfranken ist der Reiz und die Schönheit des Loquitzthales gleichsam entschleiert worden, das nunmehr durch Burg Lauenstein eine erhöhte Zugkraft empfangen hat.

Dicht unter dem Rennstiege, dem uralten Grenzweg und Bergzinnenpfad des Thüringer Waldes, entspringen die Quellen der Loquitz, die nach gut halbstündigem Laufe Lehesten und seine weltberühmten Schieferbrüche grüßt, in denen an 2000 Menschen arbeiten und deren Schieferplatten und -tafeln, Wetzsteine und Griffel weit hinaus über alle Meere gehen. Durch ein einsames Bergthal windet sich die Loquitz nach Ludwigstadt, berührt noch einige kleine Siedelungen und wendet sich dann wie mit einem Ruck scharf rechts nach Osten.

Hier, an der Spitze dieses Rechtecks (die Thalsohle liegt 400 m hoch) erhebt sich auf einem scharf profilierten Bergkegel (600 m hoch) Burg Lauenstein, im Volksmunde auch die Mantelburg genannt.

Nur rückwärts nach dem Gebirge hin ist sie durch einen Sattel mit dem vorüberstreichenden Bergzug verbunden, die übrigen drei Seiten des Bergkegels, jetzt von bequemen Wegen überwebt, fallen jäh hinab zu Thale.

Leuchtend und unnahbar thront wie eine Königin Burg

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0276.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2024)
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