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Seite:Die Gartenlaube (1899) 0288.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

grasgrünem Seidenband und mit einem wahren Ungetüm von Gemsbart. Aber dieser Gemsbart war echt, ohne Zweifel – darauf verstand sich Pepperl … „ja, der hat seine hundert Gulden ’kost’t, ehnder noch mehr!“

Jetzt kam ein Zweispänner. Drin saß ein Diener in Jägerlivree, deren reiche Verschnürung in Pepperl die Vermutung weckte: „Das muß der Oberlandesschützenmeister von Tirol sein!“ An der Seite dieses hohen Würdenträgers saß ein zierliches, bildhübsches Persönchen mit verschmitztem Gesicht und koketten Feueraugen – der Mustertypus einer französischen Kammerjungfer aus einem Hause von Welt. Beim Anblick des Jägers mit seiner offenen Brust und seinen nackten Knien geriet das kleine Dämchen in einen Aufruhr von Entzücken, kniff ihren Reisegefährten in den Arm und zwitscherte in perlendem Französisch: Ah, Jean! Sehen Sie nur, das muß einer von den Jägern des Fürsten sein! Ah! Un superbe colosse! Ah! Ah! Nicht wahr, das ist ein wirklicher Tiroler! Ein echter! Welch ein famoser Typus der Rasse! Und wie hübsch! Die richtige Staffage für diese Landschaft! Wie reizend das alles ist, wie drollig! Ah! Ah! C’est drôle, tout ça!“ Sie guckte nach allen Seiten, klatschte wie ein Kind in die Hände, blitzte mit ihren Schwarzaugen wieder den Jäger an und versetzte ihrem Reisegefährten unter hellem Gekicher einen scherzenden Puff. „Ah! Ah! Wie mir das alles gefällt! Das ist Land! Das richtige Land! Jean! Das soll lustig werden … ich freue mich närrisch!“ Und während der Wagen am Försterhäuschen vorüberfuhr, grüßte sie den Jäger lachend mit dem Handschuh. „Bon jour, monsieur! Bon jour!“ Pepperl riß die Augen auf und wurde rot. Französisch hatte er freilich in der Leutascher Dorfschule nicht gelernt, nicht einmal ordentlich Deutsch – aber so viel hatte er doch verstanden, um zu wissen, was von dieser „Ausländischen“ zu denken war.

„Das is aber eine! Teufi, Teufi, Teufi! Die geht scharf ins Zeug!“ Mit dieser Erkenntnis war die Sache für ihn erledigt. Er sah noch den dritten, mit großen Koffern beladenen Wagen an sich vorüberfahren, dann kehrte er seufzend in die Stube zurück, um wieder Feuer zu machen und die Pfanne auf den Herd zu stellen. Aber er brachte es mit seiner Kocherei nicht weit, denn die Wagen kamen vom Jagdhaus zurück, die Kutscher fragten nach der Stallung, und Pepperl mußte sie führen, mußte ihnen helfen, die Pferde ausspannen und Wasser vom Brunnen holen. Während er wortkarg das Geschwätz der Kutscher anhörte, kam Mazegger über die Lichtung herauf, mit raschem Gang alle Windungen des Weges abkürzend. Vor der Remise blieb er stehen, erregt, und musterte die Wagen.

Pepperl, der gerade mit dem Eimer zum Brunnen wollte, sah ihn an und fragte: „Toni! Was hast denn? Bist denn krank? Du schaust ja aus wie ein G’spenst!“

„So? … Ja, ein bißl ungut ist mir!“ Mazegger atmete schwer. „Und … und die Wagen da? Sind die Damen, die ich gesehen hab’, zum Fürsten gekommen?“

„Natürlich, zu wem denn sonst?“

„Und die schöne Frau, die im Vierspänner war … wer ist denn die?“

„Was weiß denn ich?“ brummte Pepperl und wanderte zum Brunnen. „Wenn dich d’ Neugier plagt, geh ’nauf und frag’!“

Mazegger stand noch eine Weile und lauschte auf das Gespräch, das die Kutscher im Stall miteinander führten. Sie sprachen von einer „lustigen Französin“, von einem „Kasperl mit Haxen“ und von einer „Frau Baronin“, über die der Postillon des Vierspänners das Urteil fällte: „Ein säuberers Frauenzimmer hab’ ich meiner Lebtag’ noch net g’sehen … und ich hab’ schon viel noble Leut’ in mei’m Wagen g’habt! Was die für Augen hat! Kruzitürken! Und … du! Die is dir barfamiert ... da mußt einmal ’nausgehn und hinschmecken an’ Wagen … was das für ein nobligs Düftl is! Den ganzen Weg her hab’ ich allweil g’meint, ich fahr’ durch ein’ Apotheken durch!“

„Aber hörst,“ meinte der andere Kutscher, „daß so ein bildschönes Frauenzimmer kein’ andern Mann net g’funden hat als wie den narrischen Gischpel mit sein’ unsinnigen Gamsbart!“

„Der is ja gar net der ihrig’! Hat ja allweil g’sagt zu ihr: Baronin! Und g’redt haben s’ miteinander … ah na! So reden d’ Eh’leut’ net! Weißt, Eh’leut’ hab’ ich auch schon viel g’fahren … die reden anders.“

Mazegger lächelte und spähte mit funkelnden Augen durch den Wald gegen das Fürstenhaus hinauf. Wortlos ging er an Praxmaler vorüber, der mit dem triefenden Eimer vom Brunnen kam, und immer rascher wurde sein Schritt. Als er in die Stube seiner Hütte trat, warf er die Büchse und den Hut auf das Bett, verriegelte die Thür und riß mit zitternden Händen das kleine Fenster auf. In der dunklen Stubenecke setzte er sich rittlings auf einen Sessel und legte neben sich das Fernrohr auf den Herd. Durch das offene Fenster konnte er das Fürstenhaus und den ganzen Weg überblicken, der von droben herunterführte zum Fremdenhaus.

Er sah, wie Martin in erregter Eile gelaufen kam und mit Praxmaler und einem Kutscher zurückkehrte. Die beiden mußten drei große rotlederne Koffer, die droben im Hof standen, ins Fremdenhaus hinuntertragen. Martin, der ins Jagdhaus getreten war, erschien nach einer Weile mit jenem Herrn, dem der „unsinnige Gamsbart“ wie ein Generalsbusch auf dem Spitzhut schwankte. Um die Schultern hatte er einen leichten Staubmantel hängen, offen, so daß man den eleganten, grün- und rehbraunkarrierten Jagdanzug sehen konnte, dessen Kniehosen sich mit handbreiten Hirschlederborten um die moosgrünen Strümpfe schlossen. In der Hand trug er ein Lederetui, das sich ansah wie eine plattgedrückte Pfanne. Er war von mittelgroßer Gestalt, rund genährt und dennoch von unruhiger Beweglichkeit, mit eigentümlich wiegendem Gang, bei dem er manchmal ein Bein schlenkerte, als läge ihm noch prickelnd die Ermüdung der langen Wagenfahrt in den Knien.

Mazegger richtete das Fernrohr und sah durch das Glas ein nicht mehr junges, aber rosiges, vergnügt zufriedenes Gesicht mit großen wasserblauen Augen. Das aschblonde Haar war wellig in die Schläfen gekämmt, eine dicke Locke stahl sich an der Stirne etwas absichtlich unter dem Hutrand hervor, und auf den vollen roten Lippen saß ein kunstvoll dressiertes Schnurrbärtchen, das sich schlang und kräuselte wie eine zierliche Arabeske.

Die beiden standen eine Weile im Hof, Martin schien die Gegend zu erklären, und über alles, was er sagte, mußte der Fremde ein ganz besonderes Vergnügen empfinden, denn deutlich konnte Mazegger sein Lachen hören. Es war ein merkwürdiges Lachen, hoch und kichernd, wie das Hämmern eines Spechtes.

Nun kamen sie über den Weg herunter.

„Ah ja, die Gegend, ja, die ist wirklich großoatig! So was von Berg’! Was? Und schaugn S’ den Wald an, Moatin … so was von Grrrünitätt! Hehehehe!“ sagte der Fremde zwischen Lachen und Getänzel in einer Sprache, die an den Jargon der Wiener Fiaker anklang und manchmal auch an den Ton der Börse erinnerte. „Aber Aufenthalt und Verpflegsqualitätt? Schlechte Censur? Was? Ainigermaaasen prrrimitifff, scheint mir? Nuuuhr für Natuuuhr … fescher Walzer mit Variationen in Moll für Gaisthaler Jagdhausgebrauch. Nna, die Jagd, hoff’ ich, rrreißt alles heraus! Prima? Was?“

„Ja, Herr von Sensburg, die Jagd soll ganz vorzüglich sein. Durchlaucht haben zwar die Birsche noch wenig frequentiert, aber es ist Durchlaucht doch gelungen, gleich auf dem ersten Birschgang einen schönen Hirsch ...“

Guten Hirsch!“

„… einen guten Hirsch und bei der nächsten Birsche zwei kapitale Gemsböcke zur Strecke zu bringen.“

„Aber! Moatin! Sie sind ja ein schröcklicher Keal! Gamsböck haaßt’s! Schenieren Sie sich! Ainigermaasen mangelhafte Weidmannsbüldung? Was? Hehehehe!“

„Verzeihen Sie, Herr von Sensburg, aber … ich bitte, wollen Sie mir nicht das Racket zu tragen geben?“

„Sssss! Zucker! Nicht anrühren! So was will getragen sein! Hehehehe! Nna alsdann … zwaa Gamsböck’? A la bonheur! Da sind ja die Aussichten großoatig! Sie, Moatin, da mach’ ich gleich muagen in der Früh die easte Biasch! Aber einen feschen Jaager bitt’ ich mir aus. Bei mir wird scharf gestiegen! Schoarrfff! Und bis ich am Abend den Gams hambring’ … Sie, Moatin, da bitt’ ich mir aus, daß ein bißl aufg’mischt wird in diesem sterilen k. k. Landeswinkel! Hehehehe! Wissen S’, was ich haben möcht’ … so eine zwanglose fête champêtre! Stilvoll mit Erdgeruch! Jaager, Holzknecht’, Sennerinnen, stramm g’waxene Diandln, Ziederng’spüll und Natuajodler … kuaz, was man sagt: eine Hetz’! Aber ächt, das bitt’

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0288.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)
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