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Seite:Die Gartenlaube (1899) 0299.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Mark jährlich davon zu erübrigen, um für spätere Unterrichts- und Studienzwecke ihrer Kinder etwas Geld frei zur Verfügung zu besitzen. Obdach und Nahrung fanden sie und ihre Kleinen bei ihren Eltern. Ihre flehentliche Bitte, bei dem Bruder auf Heinsdorf wohnen und sich nützlich machen zu dürfen, war abgewiesen worden, ebenso hatte man ihren Wunsch als thöricht erklärt, sich in Berlin auf irgend eine Weise selbständig zu machen, durch Aufnahme und Erziehung von Schulkindern, durch Gründung eines Damenpensionates oder dergleichen.

„Was würden die Leute davon denken, wenn der Oberamtmann Deuben seine Tochter für Geld arbeiten ließe,“ fragte ihr Vater entrüstet.

Ja, stillhalten – immer stillhalten – –

Sabine lächelte bitter, als sie nochmals die Stelle las, wo Susanna ihren späteren Besuch ankündigte. Als ob Sabine in der Lage sei, sich so ohne weiteres ihre liebste, einzige Freundin, noch dazu eine Verwandte, einzuladen! Die Mutter würde einwenden, daß man kein anderes Zimmer zur Verfügung habe als oben im Giebel, unterm spitzen Dach, die Schrankstube, wo allerdings ein Fremdenbett stand für den noch nie dagewesenen Fall, daß Reinald nachts in Mühlau bleiben wolle, anstatt wieder nach Heinsdorf hinauszufahren oder zu reiten. Und der Vater würde fürchten, in seiner Bequemlichkeit beeinträchtigt zu werden. Der alte Mann hatte ja auch ganz recht: war es nicht schon Unbequemlichkeit genug für ihn, die Tochter samt Enkelkindern wieder im Hause zu haben?

Liebe, tapfere Susanna, dachte Sabine, du würdest mit deinen Vorwürfen zurückhalten, wenn du wüßtest, wieviel leichter kämpfen als dulden ist!

Mechanisch, noch mit all ihren Gedanken bei Susannas Plänen, griff sie nach dem Brief des Leutnants von Zeuthern. Sie hatte immer so ein bißchen Mitleid mit seinen rührend gemeinten und treuen Zuschriften. Sie las:

„Liebe Sabine! Erwarte seit vier Wochen mal eine Zeile von Dir. Immer umsonst. Hoffentlich sind Leo und Milly wohl. Ich las was von Masern, die grassieren. Kann aber auch anderswo als in Mühlau gewesen sein. Mir geht es ja gottlob soweit gut. Ueber das fatale Gefühl, Onkel Fritz für die Zulage danken zu müssen, während ich früher das Doppelte aus Eigenem hatte, bin ich immer noch nicht weg. Das muß ich aber sagen: kolossal taktvoller alter Mann, Onkel Fritz. Gott verzeihe Leopold, was er an uns allen verbrochen. Uebrigens kolossal peinliche Empfindung, an den eigenen Bruder so mit höchst gemischten Gefühlen denken zu müssen! – Du fragtest mal nach Körlegg. So was begreife ich – man interessiert sich unwillkürlich – kann ich Dir nachfühlen. Eigentlich schreibe ich bloß seinetwegen. Bereite Dich vor, was Sonderbares zu hören! Er war zehn Monate drüben. Daß er sich versetzen lassen würde, schrieb ich wohl mal schon? Ich hatte immer so eine Art Schuldgefühl – als wenn ich den Kameraden einen liebsten Kameraden raube. Denn Körlegg war kolossal beliebt. Ich erbot mich, meinerseits um Versetzung einzukommen. Aber der Oberst meinte, Körlegg wolle und brauche eine totale Aenderung und ich sei eben erst ’reingekommen ins Regiment. Na, er ist versetzt. Und von seinem neuen Regiment steht ein Bataillon in Mühlau. Nun ist es heraus.

Bei Deinen Eltern, schriebst Du mal, verkehrt keiner der Herren. Dein Vater sah auf Heinsdorf Offiziere bei sich, jetzt aber nicht mehr. Er überläßt den Verkehr Deinem Bruder. Da wird ja jedes Zusammentreffen sich vermeiden lassen. Und da Du ihn nie gesehen, wirst Du an ihm auch harmlos auf der Straße vorbeigehen.

Aber ich dachte mir doch so: besser ich schreibe es Dir, als daß Du es von anderer Seite hörst. Er natürlich hat keine blasse Ahnung, daß Du in Mühlau wohnst. Woher sollte er?! Ich hab’ auch im Kasino fein stillgeschwiegen, als die Versetzung Körleggs besprochen ward.

Leicht hätte es ihm sonst einer der Kameraden mitteilen können; er hätte getrachtet, andere Kommandierung zu erlangen. Und man darf den Mann doch nicht ruhelos machen und schädigen. Vielleicht erfährt er nie, daß Du in demselben Ort mit ihm wohnst.

Schreibe bald Deinem
 treuen Schwager Benno v. Z.“

Mit farblosen zitternden Lippen saß Sabine und sah vor sich hin.

Unverblaßt lebte in ihrem Gedächtnis jene Stunde, wo sie auf dem Kirchhofe den hohen, blonden Mann gesehen hatte.

Wie ernst hatte er gesprochen damals – welche schwere, gewissenhafte Lebensauffassung offenbart, ihr, deren Schicksal sich so hart gewendet infolge der egoistischen und frivolen Lebensauffassung eines anderen Mannes!

Ein verworrenes Geräusch riß Sabine aus den Träumen, in welche sie der Brief ihres Schwagers versetzt hatte.

Schrie oder jammerte – oder schalt da nicht jemand?

Sie fuhr auf und war mit drei Schritten auf dem Flur. Richtig, vorn aus dem Wohnzimmer drang ein heftiges Durcheinander von Stimmen. Im nächsten Augenblick war sie an der Thür und riß sie auf.

Drinnen stand die kleine Milly und schluchzte, ihr Köpfchen auf Großpapas Knie gelegt, der tröstend zu ihr niedersprach. Mitten im Zimmer, einander gegenüber, befanden sich die Oberamtmännin und Lisbeth, das Kindermädchen, aufeinander lossprechend, mit allen Zeichen höchsten Zornes. Daneben heulte Leo, beide Fäuste vor den Augen.

Sogleich wandte sich Lisbeth hilfeheischend an ihre Herrin: „Frau Oberamtmann hat mir jesagt, ik soll stantepeh das Haus verlassen. Keen Mensch hat hier det Recht, mir den Dienst ufzukündigen als meine Jnädige! Von Ihnen bin ik engaschiert und weer ik saläriert!“

„Ich muß dir bemerken, Sabine, daß die Person sich sehr aufsässig betragen hat, weil ich ihr verwies, mit den Kindern nochmals den Unteroffizier in dessen Wohnung zu besuchen,“ rief die Oberamtmännin.

„Haben Sie das gethan, Lisbeth?“ fragte Sabine erschreckt.

„Nu ja. Dat is keen Schande nich, wenn ik mal an ’n helllichten Tage ’n Momang bei meinen erklärten Bräut’jam vorspreche,“ trotzte Lisbeth.

„Aber die Kinder hat sie mitgenommen – Leo kam damit heraus – er habe einen großen Soldaten mit einem großen Schnurrbart besucht und das Gewehr in der Hand gehabt – und Milly hat der Kerl geküßt,“ erzählte die Mutter.

„Der Kerl?“ schrie Lisbeth, „’n königlich preußischer Unteroffizier mit Aussicht auf Civilversorgung ’n Kerl? Nee, so wat.“

Leo heulte stärker.

„Du wirst die freche Person auf der Stelle entlassen,“ rief die Oberamtmännin, „das bist du mir schuldig.“

„Gewiß, liebe Mutter,“ sprach Sabine fast tonlos. Sie sah sehr bleich und leidend aus.

Sie wußte ja: dieser Ausbruch war nur das Resultat monatelanger Hetzereien der Köchin Guste. Sie selbst war mit Lisbeth zufrieden. Das Mädchen zeigte sich stets reinlich, ehrlich, kinderlieb und ihr persönlich anhänglich. Für den Besuch beim Unteroffizier würde sie sie wahrscheinlich streng vermahnt, im Wiederholungsfalle ihr auch gekündigt haben. Aber eine Entlassung mit Skandal in Gegenwart der Kleinen mitten im Monat, ohne Aussicht auf Ersatz – das war weder Sabinens Neigung noch Nutzen.

Indessen da Lisbeth offenbar unziemlich geworden war – da ihre Mutter es verlangte – – –

„Gehen Sie, Lisbeth! Ich komme gleich nach hinten und gebe Ihnen Ihren Lohn,“ sprach sie.

„Aber Kostgeld bis zum ersten Mai steht mir außerdem zu,“ trotzte Lisbeth.

„Sie sollen es haben.“

Lisbeth ging. Eine schwüle Stille trat ein, denn die Kinder hörten plötzlich vor Schreck auf zu weinen. Sie hingen an Lisbeth und ihnen war, als habe sich da etwas ereignet, infolgedessen sie Lisbeth nicht wieder sehen würden.

Sabine fing an, den Kindern die Mäntel auszuziehen.

„Wir müssen es ins Kreisblatt setzen lassen,“ bemerkte der Oberamtmann.

„Vielleicht hat Frau Weder eine,“ meinte die Mutter.

„Nein, nein – was von der Gesindevermieterin kommt, taugt nicht viel. Es wird nicht ganz leicht sein, jetzt mitten in der Zeit einen Ersatz für Lisbeth zu finden. Im Notfall muß Sabine

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0299.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2020)
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