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Seite:Die Gartenlaube (1899) 0562.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Friedrich der Große setzte seinen Ehrgeiz darein, in Paris als französischer Autor zu gelten. Die „Gebildeten“ sprachen das Französische wie eine zweite „feinere“ Muttersprache. Ueberall Herrschaft des Fremden, Nachahmung fremdländischer Vorbilder.

Wie Lessing in diesen Zustand mit der blanken Klinge seines Geistes dreinfuhr, ist bekannt. Aber sein Erfolg war nicht durchgreifend, so wenig wie die Versuche Klopstocks, Wielands, Winckelmanns, Herders, die deutsche Sprache auch den feineren Wendungen des Gedankens dienstbar zu machen. Erst Goethes „Götz“ und sein „Werther“ übten solche Wirkung aus. Erst Goethe schöpfte seine Schriftsprache aus dem Jungbrunnen der Mundarten des Volkes, des deutschen Volkslieds, der alten Volkslitteratur, des Lutherschen Bibeldeutsch, so daß er für sein persönlichstes Empfinden und sein kühnstes Denken echt volkstümlichen und echt deutschen Ausdruck fand. Von dieser Wirkung Goethes schrieb Herman Grimm vor fünfundzwanzig Jahren wohl nicht zu überschwenglich: „Goethes Verse haben erst die Schillers in Fluß gebracht. Goethe hat Schlegel die Fülle verliehen, Shakespeare beinahe in einen deutschen Dichter umzuwandeln. Goethes Prosa ist nach und nach für alle Fächer des geistigen Lebens zur mustergültigen Ausdrucksweise geworden. Durch Schelling ist sie in die Philosophie, durch Savigny in die Jurisprudenz, durch Alexander von Humboldt in die Naturwissenschaften, durch Wilhelm von Humboldt in die philologische Gelehrsamkeit eingedrungen. All unser Briefstil beruht auf dem Goethes. Unendlich viele Wendungen, die wir gebrauchen, ohne nach ihrer Quelle zu fragen, weil sie uns zu natürlich zu Gebote stehen, würden uns ohne Goethe verschlossen sein. – Aus dieser Einheit der Sprache ist bei uns die wahre Gemeinsamkeit der höheren geistigen Genüsse erst entsprungen und ohne sie wäre unsre politische Einheit niemals erlangt worden.“

Freilich läßt sich dieses Verdienst nicht rühmen, ohne daß wir dabei dankbar des Einflusses gedenken, den Herder auf Goethe damals gerade geübt hat, als er in Straßburg und Frankfurt zum Dichter des „Götz“ und des „Werther“ heranreifte, – ohne daß wir zu Schiller aufblicken, den Rietschels schönes Denkmal vor dem Theater in Weimar neben Goethe stehend darstellt, mit ihm einen Lorbeerkranz haltend. Als der junge Schiller aber 1782 die erste Aufführung der „Räuber“ erlebte, hatte Goethes „Götz“, sein „Werther“ schon beinahe ein Jahrzehnt lang auf die Nation gewirkt. Goethe war es, der die geistige Bewegung, welche Herder angefacht hatte, zum Sieg führte; er war es, der den Hof Karl Augusts in Weimar zum Musensitz umschuf, der die Berufung Herders und Schillers nach Weimar, Jena bewirkte und jenen Wetteifer höchsten Strebens entfachte, unter dessen belebendem Ansporn Schillers „Wallenstein“ und seine weiteren Dramen entstanden. Herders großes Verdienst bleibt, daß er, der Forscher, der den „Stimmen der Völker“ in ihren Volksliedern lauschte, den jungen Goethe in Straßburg gerade in der Richtung beeinflußte, in der sich thatsächlich die Wiedergeburt der deutschen Litteratur vollziehen sollte. Er wies als Denker nach, welche Bedeutung für die Poesie der nationale Charakter und die Natürlichkeit des Empfindens habe; da fand sich in Goethe der Dichter, der aus eigenstem naiven Wesen heraus national und gleichzeitig natürlich empfand. Herder durfte Goethe den Weg bereiten; den Weg selbst zu beschreiten, war ihm nicht gegeben.

Als Goethe in der Vaterstadt am Main, der alten Krönungsstadt der deutschen Kaiser, aufwuchs, herrschte darin der Franzos. Der französische Statthalter, der „Königslieutnant“, hatte seine Wohnung in Goethes Vaterhaus. Der Riß, der damals schon durch die deutsche Welt ging, weil Preußen und Oesterreich als Feinde sich maßen, war auch in Goethes Familie spürbar: der gestrenge Vater des Dichters, der kaiserliche Rat, war ein Anhänger Friedrichs II; die frohgemute „Frau Rat“, die Mutter Goethes, Urenkelin eines Syndikus, Tochter des Stadtschultheißen der Freien Reichsstadt, hing im Herzen dem Kaiserhaus an, dessen Repräsentanten in ihrer Vaterstadt gekrönt wurden. Großvater Textor aber, der Stadtschultheiß, der über Franz I den Krönungshimmel getragen hatte und der im „Römer“ die gewichtige goldene Kette mit dem Bildnis der Kaiserin trug, war ein leidenschaftlicher Anhänger Oesterreichs. Dieser Konflikt in der Familie öffnete dem Knaben Wolfgang früh das Auge über die traurigen Zustände im Vaterlande. Mit dem Vater begeisterte er sich wohl für die sieghafte Persönlichkeit des Preußenkönigs, mit der Mutter aber schwärmte er für die frühere Reichsherrlichkeit, auf welche der „Römer“, der Dom, alle festlichen Bräuche der Vaterstadt glanzvoll zurückwiesen.

Die ersten Eindrücke der dramatischen Kunst empfängt er durch französische Stücke, durch eine französische Truppe; mächtiger wirken auf ihn die alten heimischen Volksschauspiele, deren Stoffe aus der Geschichte des deutschen Rittertums und alten Volkssagen stammen. Er spricht und schreibt in der oberdeutschen Mundart der Vaterstadt; in der naiven Sprache alter Chroniken wird er heimisch. Fünfzehn Jahre alt, erlebt er dann selbst die Krönung Josephs II: er wird Zeuge all der pomphaften Vorbereitungen, die ihm als Enkel des Stadtschultheißen vor vielen anderen zugänglich sind. Die farbenfreudige Welt der mittelalterlichen Kaiserzeit wird mit aller Pracht der Kostüme und symbolischen Bräuche vor seinen Augen lebendig. Zugleich aber überzeugen ihn persönliche Erlebnisse von der Unzulänglichkeit der Rechtsverfassung, die in der Vaterstadt herrscht. In Leipzig bezieht der Student eine Wohnung in einem der wenigen Quartiere von altertümlichem Reiz. In Auerbachs Keller belebt sich ihm die Gestalt des Zauberers Faust aus dem Volksspiel. Im Verkehr mit der sächsischen Bevölkerung wird er sich der Eigenart seiner oberdeutschen Mundart bewußt, und Versuche, sie ihm abzugewöhnen, bestärken ihn in der Freude an dieser Eigenart, ihrer Bildlichkeit, Gedrungenheit, ihrer Neigung zu sprichwörtlichen Redensarten. Aber an der „galanten“ Umgangssprache der gebildeten Leipziger lernt er auch die eigene Ausdrucksweise glätten, und die ursprüngliche Kraft der Meißnischen Mundart, in der Luther einst schrieb, tritt ihm entgegen in der schwertscharfen Prosa Lessings. Gleich einer Offenbarung wirkt Lessings „Minna von Barnhelm“ auf ihn ein, und er wird sich bewußt des „vollkommenen norddeutschen Nationalcharakters“ dieses lebensprühenden Zeitbildes. Die eigenen poetischen Versuche zeigen ihn aber noch auf den Spuren der äußerlichen Nachahmer des Anakreon und Horaz, offenbart sich in ihnen auch schon die Natürlichkeit seines Empfindens in lebhafter Frische. Die behagliche Grazie Wielands bestrickt ihn. Noch tändelt die von der Mutter ererbte „Frohnatur“ mit den Reizen des Lebens; sie gerät in Konflikt mit dem „ernsten Führen“ des Vaters; sein wissensdurstiger Geist, nach höchster Erkenntnis strebend, wendet sich unruhig und unbefriedigt von einer Fakultät der andern zu; Kummer und Krankheit vertiefen sein Gefühl, machen es aber auch in Frankfurt dem Einfluß mystischen Grübelns zugänglich.

Da kommt er nach Straßburg, der alten Reichsstadt am Rhein, die nun bereits seit einem Jahrhundert ganz zu Frankreich gehört, im Wesen aber noch völlig deutsch ist. Die großartige Schönheit des Münsters packt ihn im Innersten: solcher Kunst von so deutscher Art und so großen Stils will er sein Leben weihen. Schon recken sich die Gestalten des Götz und des Faust vor seiner Phantasie zu der Größe empor, in der sie in seine Dramen übergingen, da verweist ihn Herder auf Shakespeare, und bei diesem findet er den dramatischen Stil für ein Schaffen ins Große, in einer Sprache von nationaler Kraft und freiester Natürlichkeit des Ausdrucks. Und aus der Fülle der Gesichte, die ihm die Knabenzeit in Frankfurt aus deutscher Vergangenheit gewährte, ordnen sich vor seinem Geist, im bunten Wechsel, wie ihn Shakespeare liebte, farbenfrische scenische Bilder für diese Dramen. Herder macht ihn ferner mit seinen Sammlungen von Volksliedern bekannt und weckt in ihm die Lust, auf seinen Wanderungen durchs Elsaß selbst solche zu sammeln und sein lyrisches Talent an ihrem schlichten Ton zu schulen. Auf solcher Wanderung durch die ländliche Umgebung Straßburgs kommt er in ein Pfarrhaus, das ihm ein Freund als eine Wiederholung der Idylle gepriesen hat, welche Goldsmith im „Landprediger von Wakefield“ schildert, und hier lernt er das Mädchen kennen, dessen frischer Liebreiz die erste große Liebesleidenschaft in ihm weckt, Friederike Brion, die Tochter des Pfarrers von Sesenheim. Wie eine Verkörperung des Volksliedes trat sie ihm entgegen, in der schmucken Nationaltracht der Elsässerinnen, naive Frische, heitere Anmut im Wesen. Und die Liebe zu Friederiken löst seinem Herzen die Sprache; die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0562.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2024)
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