verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10 | |
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verdient hätte und den Poeten überlassen bleiben müßte. In späterer Zeit traten die Interessen an der religiösen, litterarischen und rechtsgeschichtlichen Entwickelung zu der bloßen Schilderung der sittengeschichtlichen Zustände hinzu, und in dieser Richtung haben namentlich Montesquieu, Voltaire und Gibbon im vorigen Jahrhundert der modernen Kulturgeschichtschreibung vorgearbeitet. Eine erhebliche Vertiefung mit Anbahnung eines universalgeschichtlichen Standpunktes erfuhr die Geschichtschreibung sodann durch Herder, der mit seinen „Ideen zur Geschichte der Menschheit“ (1784) die neue Epoche der Geschichtschreibung einleitete, während Heeren in seinen „Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt“ (1793) namentlich den Einfluß der Handelsbeziehungen auf die Wege der Kultur darlegte. Das in unserm Jahrhundert mächtig geförderte Studium der Anthropologie und Ethnologie bereitete der allgemeinern Auffassung des Problems zuerst eine wissenschaftliche Grundlage, indem sie zeigte, von welchen Zuständen man auszugehen habe, um die untersten Kulturstufen zu begreifen. In dieser Richtung ist das Werk von H. Klemm („Allgemeine K.“, Leipz. 1842–53, 10 Bde.) bahnbrechend geworden. Einen fernern wichtigen Anstoß gab sodann H. T. Buckle in seiner „Geschichte der Zivilisation in England“ (zuerst 1857), in welcher der Einfluß der natürlichen Bedingungen (Bodengestaltung, Klima etc.) auf die Entwickelung der Individualität der Völker in Betracht gezogen wurde, ein Gesichtspunkt, der in dem neuen Buch von Ratzel, „Anthropogeographie“ (Stuttg. 1882), ganz in den Vordergrund tritt. Das Auftreten Darwins, die von ihm eingeleitete Zurückforderung des Menschen für die Naturgeschichte, die mit Eifer in Angriff genommenen Studien über das Auftreten der vorhistorischen Menschen in Europa und andern Ländern, die damit gewonnenen Vergleichspunkte der Menschen aller Zeiten und Zonen untereinander haben zu einer mächtigen Bewegung auf diesem Gebiet geführt, deren Ziel dahin geht, die allgemeine K. zu einer Entwickelungsgeschichte der Menschheit auszubauen, in welcher Beziehung namentlich die Schriften von E. Tylor („Early history of mankind“, 1870; deutsch, Leipz. 1873) und Lubbock („The origin of civilization, and the primitive condition of man“, 1870; deutsch, Jena 1875) von Einfluß gewesen sind. Casparis „Urgeschichte der Menschheit“ (2. Aufl., Leipz. 1877, 2 Bde.) ist namentlich in psychologischer Beziehung ideenreich, dagegen behandelt Herbert Spencers „Prinzipien der Sociologie“ (1. Bd., deutsch, Stuttg. 1877) speziell die Entstehung der Staatsformen, Sitten und Gebräuche. Die äußersten Konsequenzen dieser naturalistischen Auffassung der K. zieht Hellwald in seiner „K. in ihrer natürlichen Entwickelung bis zur Gegenwart“ (3. Aufl., Augsb. 1883), worin er die Notwendigkeit der alten Priesterherrschaften, Tyrannei und Sklaverei etc. als unvermeidlicher Durchgangsstufen der Entwickelung darstellt. Die Übergangszeit von der Vorgeschichte zur Geschichte behandelt Lenormant in seinen „Anfängen der Kultur“ (deutsch, Jena 1875, 2 Bde.). Von den fernern Werken, die teils die K. mehr im allgemeinen, teils besondere Abschnitte (Sittengeschichte) und Zeitepochen behandeln, seien erwähnt: W. Wachsmuth („Europäische Sittengeschichte“, Leipz. 1831–39, 5 Bde., und „Allgemeine K.“, das. 1850–52, 3 Bde.), G. F. Kolb („K. der Menschheit“, 3. Aufl., das. 1884, 2 Bde.), O. Henne Am-Rhyn („Allgemeine K.“, 2. Aufl., das. 1877–78, 6 Bde.; „K. des deutschen Volkes“, Berl. 1886), Lippert („K. der Menschheit in ihrem organischen Aufbau“, Stuttg. 1886), G. Hoyns („Die alte Welt in ihrem Bildungsgang als Grundlage der Kultur der Gegenwart“, Berl. 1876), Riehl („Kulturstudien aus drei Jahrhunderten“, 4. Aufl., Stuttg. 1873), H. Rückert („K. des deutschen Volkes in der Zeit des Übergangs aus dem Heidentum in das Christentum“, Leipz. 1853), Joh. Scherr („Deutsche Kultur- und Sittengeschichte“, 8. Aufl., das. 1882), Karl Grün („K. des 16. Jahrhunderts“, das. 1872), J. J. Honegger („Grundsteine einer allgemeinen K. der neuesten Zeit“, das. 1868–1874, 5 Bde.; „Kritische Geschichte der französischen Kultureinflüsse in den letzten Jahrhunderten“, Berl. 1875; „Allgemeine K.“, Leipz. 1882 ff.), Noiré („Das Werkzeug und seine Bedeutung für die Entwickelungsgeschichte der Menschheit“, Mainz 1880). Von ausländischen Werken sind vor allen zu nennen die des wesentlich auf dem Standpunkt Buckles stehenden Amerikaners J. W. Draper („History of the intellectual development of Europe“, New York 1864, 2 Bde.; deutsch von Bartels, 3. Aufl., Leipz. 1886, und „History of the conflict between religion and science“, 1875; deutsch, Leipz. 1875) sowie Leckys „History of the rise and influence of the spirit of rationalism in Europe“ (Lond. 1865, 2 Bde.; deutsch von Jolowicz, 2. Aufl., Leipz. 1873, 2 Bde.) und „History of European morals from Augustus to Charlemagne“ (Lond. 1869, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1871, 2 Bde.). Von Bilderwerken sind zu erwähnen: Hirths „Kulturgeschichtliches Bilderbuch“ (Münch. 1883 ff.), Essenweins „Kulturgeschichtliche Bilderbogen“ (Leipz. 1885). Vgl. Jodl, Die Kulturgeschichtschreibung (Halle 1878).
Kulturkampf, der Kampf zwischen der katholischen Kirche und dem Staat in Deutschland und namentlich in Preußen seit 1872, ein zuerst von Virchow gebrauchtes Wort im Sinn eines „Kampfes für die Kultur“, von den Ultramontanen spöttisch in dem Sinn gebraucht, daß der K. die Bekämpfung der Kultur, d. h. der katholischen Kirche, sei, wie sie denn auch einen besonders eifrigen Verteidiger der staatlichen Autorität gegenüber der römischen Kurie als Kulturkämpfer zu bezeichnen pflegen (s. Kirchenpolitik). Majunke („Geschichte des Kulturkampfes in Preußen-Deutschland“, Paderb. 1886–87) und F. X. Schulte („Geschichte des Kulturkampfes in Preußen“, Essen 1882) schrieben die Geschichte dieser Perioden im ultramontanen Sinn; vgl. dagegen Wiermann, Geschichte des Kulturkampfes (2. Aufl., Leipz. 1886). Auch für die kirchenpolitischen Kämpfe in andern Ländern, z. B. in Belgien und der Schweiz, ist der Ausdruck K. angenommen worden (vgl. Woeste, Histoire du Culturkampf en Suisse, Brüssel 1887).
Kulturpflanzen, alle diejenigen Pflanzen, welche zu irgend einem Zweck besonders gezogen (kultiviert) werden, im Gegensatz zu den wild wachsenden.
Kulturpolizei, s. Polizei.
Kulturschicht, bei Untersuchung alter Wohnstätten diejenige Schicht, in welcher Artefakte oder, wie neuerdings vorgeschlagen wurde zu sagen, Manufakte als Spuren menschlicher Thätigkeit und Gradmesser für den Kulturzustand der Bewohner gefunden werden.
Kulturtechnik, das landwirtschaftliche Meliorationswesen, soweit sich dasselbe mit der Ent- und Bewässerung der Grundstücke, mit der Korrektion kleinerer, nicht schiffbarer Wasserläufe, mit der Anlage von Reservoirs für Bewässerungszwecke sowie der Wasserversorgung für kleinere Ortschaften befaßt. Im weitern Sinn würde man alle im Interesse der Bodenkultur auszuführenden technischen Arbeiten,
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0294.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2022)