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Seite:Meyers b10 s0648.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

beide unvollendet. Die philosophischen Schriften gaben außerdem Erdmann (Berl. 1839, 2 Bde.) und Janet (St.-Cloud 1866, 2 Bde.) heraus. L.’ „Deutsche Schriften“ gab Guhrauer (Berl. 1838–40, 2 Bde.), „Lettres et opuscules inédits de L.“, darunter eine „Réfutation inédite de Spinoza par L.“ (Par. 1854), Foucher de Careil heraus, der ebenfalls eine auf 20 Bände berechnete Gesamtausgabe begonnen hat, von welcher aber nur 7 Bände (1859–75) erschienen sind.

Die Leibnizsche Philosophie ist von ihrem Urheber keineswegs systematisch entwickelt, sondern in einer Anzahl meist kurzer Abhandlungen mehr angedeutet, als ausgeführt worden. Dieselbe knüpft an den Cartesianischen Dualismus, den qualitativen Gegensatz zwischen Geist und Materie (Seele und Leib) an, durch welchen jede direkte Einwirkung des einen Teils auf den andern und umgekehrt unmöglich gemacht wird. Derselbe besteht so lange, als das Wesen des Geistes (richtig) in das Denken, das des Körpers (fälschlich, mit Descartes) in die Ausdehnung gesetzt wird. Wird dagegen erkannt, daß das Wesen des Körpers (als einer zusammengesetzten Substanz) in dessen letzten Bestandteilen (den einfachen Substanzen, aus welchen er zusammengesetzt ist), das Wesen des Geistes darin besteht, daß er eine einfache Substanz, und zugleich, daß jede einfache Substanz thätige (lebendige) Kraft ist, so verschwindet obiger Gegensatz. Der Körper (Materie) ist seinem Wesen nach (in seinen letzten Bestandteilen) vom Geist nicht mehr verschieden, der Einwirkung des einen auf den andern (der Seele auf den Leib und umgekehrt) steht von seiten der Qualität kein Hindernis mehr entgegen. Der „Körper“ (Materie) als „Ausdehnung“ ist als solcher nicht wirklich, sondern bloßes „Phänomen“, und das einzige, was wahrhaft existiert, sind die einfachen Substanzen (Einheiten, „Monaden“, die „wahren Atome der Natur“). Dieselben sind (als „einfache“) sämtlich einerlei Art und, da der uns bekannte Geist (unsre eigne Seele) selbst eine einfache Substanz ist, sämtlich diesem ähnlich, sämtlich „geistiger“ Natur und werden von L. ausdrücklich als „Seelen“ (âmes) bezeichnet. Sowohl der quantitative Monismus Spinozas (der nur eine einzige Substanz) als der qualitative Dualismus des Cartesius (der zweierlei Arten von Substanzen, geistige und materielle, kennt) ist dadurch gründlich beseitigt; jenem setzt L. den Pluralismus (der unzählige), diesem den Spiritualismus (der nur geistige Substanzen kennt) entgegen. Jede einfache Substanz (Monade) ist als solche ein Unteilbares (Individuum); das Allgemeine (Geist wie Materie) hat als solches keine, und nur die Individuen besitzen wirkliche Existenz. L. schließt sich bezüglich der logisch-scholastischen Streitfrage, ob das universale als res (Realismus) oder als nomen (Nominalismus) zu betrachten sei, der nominalistischen (genauer: konzeptualistischen) Auffassung an. Eine Bestätigung dafür, daß die Materie als solche keine Existenz besitze, fand L. in der mittels des Mikroskops (durch Leeuwenhoek und Swammerdam) gemachten Entdeckung der Infusorien im Wassertropfen, welche beweise, daß auch in dem anscheinend Leblosen noch zahllose lebendige Wesen enthalten seien. Dieselbe gehört als „phaenomenon bene fundatum“ lediglich der Erscheinungs-, keineswegs aber der Welt des an sich Seienden (der Monadenwelt) an, welche als die Gesamtheit immaterieller (einfacher) Substanzen selbst immateriell (eine Geisterwelt) ist. Die Monaden, obgleich sämtlich gleichartig, sind einander doch keineswegs gleich; vielmehr ist (nach dem von L. aufgestellten Prinzip de identitate indiscernibilium, von der Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden) jede von jeder unterschieden. Da dieselben aber als immaterielle Wesen keine äußerlich wahrnehmbaren Verschiedenheiten besitzen können, ihre Natur jedoch nur darin besteht, daß sie wirksame Kräfte sind, so kann ihre Verschiedenheit nur eine innere und zwar nur in dem verschiedenen Grad ihrer Wirksamkeit gelegen sein. Sämtliche Monaden stellen eine Reihe stufenweise (höher und niedriger) entwickelter Kraftwesen dar, deren unterste den niedrigsten, deren höchste den höchsten Erscheinungen der wirklichen (Körper- und Geistes-) Welt zu Grunde liegen. Auch der menschliche Leib ist als solcher ein Aggregat von Monaden, welche zu einer solchen (der Seele) in dem Verhältnis niedriger zur höhern stehen. Die Einwirkung der Seele auf den Leib und umgekehrt stellt sich als eine Einwirkung von Monaden auf Monaden heraus, und ihre Möglichkeit oder Unmöglichkeit hängt von dem Umstand ab, ob eine Einwirkung von seiten eines dieser „Kraftwesen“ auf das andre möglich ist. Hier aber zeigt es sich, daß die von Cartesius aus einem andern Grund behauptete und von L. aus diesem Grund glücklich beseitigte Schwierigkeit der Wechselwirkung zwischen Seele und Leib aus einem weitern Grund wiederkehrt, der sich nicht beseitigen läßt. Die „Kraftwesen“ (Monaden) haben „keine Fenster“, durch welche eine Kraftwirkung aus dem einen aus- und in das andre einzutreten vermöchte. Die Wirksamkeit jeder Monas als einer „wirksamen Kraft“ kann keine auf andre „übergehende“ (transeunte), sondern nur eine auf das Innere der Monas selbst beschränkte (immanente), und sämtliche von ihr hervorgebrachte Veränderungen können sonach nicht (ihr) äußerliche, sondern müssen durchaus innerliche (des Kraftwesens selbst) sein. Da nun dasjenige, was innerhalb eines immateriellen Wesens geschieht, selbst nicht anders als immateriell sein kann, so folgt, daß nicht nur alles, was wahrhaft existiert, sondern auch alles, was wahrhaft geschieht, immaterieller (geistiger) Natur sein muß. Geistige Wesen und deren (gleichfalls) geistige Zustände machen allein die wahrhafte Welt aus, welche die (nicht hinwegzuschaffende) Grundlage der (sinnlich) erscheinenden Welt bildet. Die in dem Innern jeder Monade nacheinander ablaufenden Zustände bilden eine Reihe, in welcher jedes folgende Glied (nach dem von L. zuerst aufgestellten Prinzip des „zureichenden Grundes“) seinen Grund in dem vorhergegangenen hat und zugleich selbst den Grund für die nachfolgenden enthält, so daß „die Gegenwart schwanger mit der Zukunft“ ist. Allein da keine Monade eine Anregung von außen (durch andre Monaden) empfangen kann, so gleicht jede einzelne Monade einem „geistigen Automaten“, der seine Bewegungen unabhängig von allem, was außer ihm ist und sich selbst bewegt, vollzieht. Eine Verschiedenheit unter den Monaden wird dabei durch den Umstand begründet, ob die wirksame Kraft sich ihrer Wirksamkeit gar nicht oder nur teilweise oder im vollen Umfang bewußt ist, d. h. ob ihre Wirkungen (die Perzeptionen, Vorstellungen) sämtlich dunkle oder wenigstens teilweise klare oder durchaus klare Bewußtseinsakte sind. Jene nehmen als „schlummernde“ (Stein-, Pflanzen-, Tier-) Seelen die tiefste, letztere, die „göttliche“ Seele, die höchste, die menschliche Seele aber nimmt als teilweise klares, teilweise dunkles Bewußtsein eine mittlere Stellung auf der Stufenleiter der geistigen Wesen ein. Die Möglichkeit einer Übereinstimmung zwischen den Zuständen zweier oder mehrerer Monaden (z. B. der Seele und

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0648.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)
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