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Seite:Meyers b10 s0738.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

Das Gas tritt aus den Leitungsröhren von obenher in die flache Gaskammer G, aus deren innerm obern Rand es durch eine Reihe im Kreis angeordneter feiner Löcher ausströmt. Die Flamme bildet einen Kranz von feinen Strahlen, die unterhalb des in seinem obern Teil kegelförmigen Porzellankörpers P nach oben und innen konvergieren und um dessen obere Mündung herumbiegen. Die Verbrennungsgase streichen von da erst abwärts, biegen dann nach oben um und entweichen durch das Abzugsrohr R. Auf diesem Weg erhitzen sie das Gehäuse G′ und die Gaskammer sehr bedeutend und folglich auch die zwischen G und G′ sowie unterhalb G zuströmende Verbrennungsluft. Durch den Porzellankegel und die unterseits weiß gestrichene Gaskammer wird das Licht nach unten reflektiert. Zu den Regenerativlampen gehört auch die Wenham-Lampe, welche auf je 100 Lit. stündlichen Gaskonsum eine Lichtstärke von 31–35 Kerzen entwickeln soll.

Zur Erleichterung des Anzündens vieler Gasflammen verbindet man die Brenner durch Schießbaumwollfäden, oder man bringt an den einzelnen Brennern hydrostatisch-galvanische Apparate an, welche so eingerichtet sind, daß durch den abends in der Röhrenleitung wachsenden Gasdruck eine erregende Flüssigkeit in ein kleines Kohlenzinkelement getrieben wird und infolgedessen ein über der Brenneröffnung angebrachter Platindraht ins Glühen gerät und das Gas entzündet. Einen ähnlichen Handzünder muß man beim Gebrauch neigen, damit die Flüssigkeit ins Element tritt, und bei der Gaszündmaschine für Kontore etc. wird durch den Druck auf einen Knopf ein Zinkblock in die erregende Flüssigkeit eingetaucht, in welcher sich beständig eine Kohlenplatte befindet. Alle diese Apparate bedürfen noch der Vereinfachung in der Konstruktion, um in allgemeinen Gebrauch genommen werden zu können. Häufig benutzt man zum Anzünden kleinere, beständig brennende Nebenflammen, welche zur bestimmten Zeit durch Öffnen eines mit einem Uhrwerk verbundenen Hahns vergrößert werden unter Benutzung der Differenz zwischen Tag- und Nachtdruck. – Das L. wird in großem Maßstab auch zur Heizung, ferner in der Gaskraftmaschine (s. d.) als Motor, zum Füllen des Luftballons, zur Darstellung von Drummondschem Licht, Knallgasgebläse, chemischen Präparaten etc. benutzt. Man hat auch vorgeschlagen, dem L. das Äthylen zu entziehen und dieses in Spiritus zu verwandeln oder die Benzoldämpfe des Gases zu kondensieren, um das Benzol für die Anilinindustrie zu verwerten und die durch diese Operation geschwächte Leuchtkraft des Gases durch Einführung von Petroleumätherdämpfen wieder zu heben. – Eine sehr große Bedeutung besitzen die Nebenprodukte der Gasanstalten, von denen der Teer die mannigfachsten Produkte liefert und das Rohmaterial für viele Industriezweige bildet. Aus dem Ammoniakwasser gewinnt man Ammoniak und Ammoniaksalze (20 hl liefern mindestens 100 kg schwefelsaures Ammoniak), die Koks bilden ein wichtiges Brennmaterial, den Retortengraphit benutzt man zu galvanischen Apparaten, und selbst der Kalk und die Lamingsche Masse aus den Reinigungsapparaten, letztere nach oft wiederholter Regeneration, werden verwertet.

Geschichtliches.

Die Erfindung der Gasbeleuchtung ist jüngsten Datums. Zwar hatte schon Becher im 17. Jahrh. Steinkohlen der trocknen Destillation unterworfen und das dabei sich entwickelnde Gas entzündet (philosophisches Licht); aber die Sache blieb ohne praktische Bedeutung, auch noch als Lord Dundonald 1786 das aus Koksöfen entweichende Gas zur Beleuchtung seines Landhauses benutzte und Professor Pickel in Würzburg in demselben Jahr sein Laboratorium mit aus Knochenfett erhaltenem Gas beleuchtete. Lebon verkohlte seit 1786 Holz in verschlossenen Gefäßen und benutzte seinen Apparat, den er Thermolampe nannte, zur Heizung und Beleuchtung. Er scheiterte an der übertriebenen Vielseitigkeit seiner Projekte, während Murdoch 1792 sein Haus und seine Werkstätte zu Redruth in Cornwall mit Steinkohlengas beleuchtete, das Gas 1798 in den Fabrikgebäuden von Boulton u. Watt in Soho einführte und 1804 und 1805 auch die Errichtung eines Apparats, welcher 3000 Lichtflammen ersetzen sollte, in einer Baumwollspinnerei in Manchester leitete. Ein Amerikaner, Henfrey, hatte schon 1801 einen großen Saal in Baltimore mit Gas aus Lignit beleuchtet, und in der Folge verbreitete sich die Gasbeleuchtung in Amerika viel schneller als in Europa. Hier gewann dieselbe erst größern Aufschwung durch Winzer aus Znaim in Mähren, welcher in England eine Aktiengesellschaft gründete, dieser 1810 vom Parlament ein Privilegium verschaffte, Murdochs Schüler, Samuel Clegg, der für die Entwickelung der Gasindustrie in der Folge Außerordentliches leistete, für seine Projekte gewann und 1814 die Straßenbeleuchtung in London eröffnete. Auch in Frankreich gab Winzer die Anregung zur Einführung des Leuchtgases. In Deutschland erleuchtete Lampadius 1811 einen Teil von Freiberg, 1816 die dortigen Amalgamierwerke mit Gas; Prechtl machte ähnliche Versuche 1817 u. 1818 in Wien, allein ohne dauernden Erfolg. Dauernd wurde die Straßenbeleuchtung durch die Imperial-Continental-Gas-Association 1825 in Hannover und 1826 in Berlin eingeführt. Zwei Jahre später folgten Dresden und Frankfurt a. M., 1838 Leipzig. Alle diese Anstalten benutzten als Rohmaterial Steinkohle, welche noch jetzt vorherrschend angewandt wird. 1848 lehrte Pettenkofer die Darstellung des Holzgases. Die zur Leuchtgasfabrikation benutzten Apparate wurden großenteils von Clegg angegeben; er führte 1806 die Kalkreinigung ein und konstruirte 1815 die Gasuhr. 1835 empfahl Houzeau-Muiron die Reinigung mit Eisenvitriol und Philipps die Anwendung des Eisenoxyds, 1847 Laming die nach ihm benannte Mischung. 1862 wurden in Deutschland nahezu 300 Gasanstalten nachgewiesen, 1868 war die Zahl der deutschen Gasstädte auf 530 angewachsen, und man zählte außerdem 31 deutsch-österreichische, 37 schweizerische und 14 andre ausländische, mit deutschem Kapital gegründete Anstalten, von welchen 581 Steinkohle verarbeiteten. Für einzelne Bahnhöfe, Fabriken etc. waren 150 Gasanstalten im Betrieb. Die deutschen und die 31 deutsch-österreichischen Anstalten verarbeiteten ca. 16 Mill. Ztr. Rohmaterial und erzeugten 7380 Mill. Kubikfuß Gas, welches etwa 2,166,000 Privat- und 129,500 öffentliche Flammen speiste. Die Röhrenleitung, exkl. der Ableitungen nach den Häusern, war 22 Mill. Fuß lang. London allein verarbeitete 1870 in seinen 13 Gasanstalten über 241/2 Mill. Ztr. Kohlen, und der Gaskonsum betrug ca. 10,622 Mill. Kubikfuß (Paris etwa die Hälfte, Berlin 1201 Mill. Kubikfuß). 1885 besaß Deutschland 1257 Gasanstalten (Preußen 742, Bayern 117, Sachsen 139, Württemberg 61, Baden 39, Elsaß-Lothringen 38, Hessen und Mecklenburg-Schwerin je 22, Braunschweig 12) und zwar 338 Kommunalanstalten, 329 Privatanstalten für Kommunen und 590 Privatanstalten für gewerbliche und andre Unternehmungen. 279 Kommunalanstalten produzierten 325 Mill., 287 Privatanstalten für Kommunen 152,4 Mill. cbm L.,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0738.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2023)
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