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Seite:Meyers b12 s0598.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12

d. h. die Theorie der Erziehung und zumal des Unterrichts als des wichtigsten Mittels der Erziehung (s. d.). Von einer Theorie der Erziehung oder Erziehungswissenschaft kann erst bei höherer Kulturentwickelung in einem Volk die Rede sein. Mittelbar kommt das Erziehungs- und Unterrichtswesen aller Völker für die Geschichte der P. in Betracht, die sich, wie jede Wissenschaft, auf dem Grunde der Erfahrung aufbauen muß. Wirklich vorhanden ist die P. als Wissenschaft aber erst seit der Blütezeit der griechischen Philosophie. In Griechenland waren durch die dorische und die ionische Stammessitte (jene durch die Lykurgische, diese durch die Solonische Verfassung zur Reife entwickelt und festgestellt) wie durch die herrliche Begabung des hellenischen Volkes für leibliche und geistige Bildung (Gymnastik und Musik), welche in der künstlerischen Thätigkeit zusammenfließen, die empirischen Voraussetzungen der P. in der glücklichsten Weise gegeben. Auf dorischer Grundlage erwuchsen die ersten Ansätze dieser Wissenschaft in den Lebensregeln des Pythagoreischen Bundes, in dem es sich indes mehr um Einwirkung älterer Männer auf jüngere als um eigentliche Erziehung der Kinder handelte. Tiefer und nachhaltiger war auch auf diesem Gebiet der Einfluß des Sokrates, dessen gesamte Philosophie ein pädagogisches Gepräge hat, indem sie, an die griechische Sitte der Knabenliebe anknüpfend, das sinnliche Verhältnis des Liebhabers zum Geliebten zur Seelenleitung und zum gemeinsamen Streben nach wahrer Weisheit veredelt. Indem er die Weisheit als die erste Tugend und daher die Tugend für lehrbar erklärt, wird ihm die Erziehung, d. h. die Führung der Jugend zur Weisheit und Selbsterkenntnis, eine sittlich notwendige Lebensaufgabe. Daneben verdankt ihm die Unterrichtskunst die Methode, welche noch heute unter dem Namen der Sokratischen einen bedeutenden Platz in unsrer Didaktik einnimmt. Es ist dies die heuristische, entwickelnde Art des Unterrichts, bei welcher der Zögling durch geschickte Fragen auf induktivem Weg zur selbständigen Erkenntnis angeleitet wird. Sokrates selbst nannte sie, nach dem Geschäft seiner Mutter, geistige Hebammenkunst (Mäeutik). In verschiedener Weise bauen auf diese Grundlage die beiden großen Nachfolger des Sokrates, Platon und Aristoteles, fort. Die P. bildet bei ihnen einen Teil der Politik oder Staatslehre. Platon knüpft an die dorische Sitte an, doch führt ihn sein Idealismus weit über diese hinaus. Das wahrhaft Gute, zu dem die Jugend angeleitet werden soll, fällt ihm zusammen mit dem Schönen; Harmonie zwischen Leib und Seele wie zwischen den einzelnen Seelenkräften ist ihm das Ziel der Erziehung. Diese denkt er sich so ausschließlich als öffentliche und gemeinsame, daß die Kinder wenigstens der obern, für den Staat besonders wichtigen Stände der Krieger und der Philosophen, womöglich ihre leiblichen Eltern nicht kennen sollen. Für die ersten drei Jahre verlangt er vor allem leibliche Pflege, vom 3.–6. Jahr tritt Mythenerzählung, vom 7.–10. gymnastische Übung, vom 11.–13. Lesen und Schreiben, vom 14.–16. Dichtkunst und Musik, vom 16.–18. Mathematik, vom 18.–20. kriegerische Übung in den Vordergrund. Die Krieger schließen damit ab, die Herrscher oder Philosophen dagegen verwenden noch fernere zehn Jahre auf das tiefere Studium der Wissenschaften. Aristoteles, der besonnene realistische Forscher, entfernt sich minder als Platon von dem gebahnten Weg der griechischen, zumal der athenischen, Weise der Erziehung. Er verlangt eine doppelte Erziehung: durch Gewöhnung zu den ethischen (Gemüts-), durch Belehrung zu den dianoetischen (Vernunft-) Tugenden. Die Tugend und die durch sie bedingte Glückseligkeit bilden das Ziel, Grammatik und Gymnastik, Musik und Zeichenkunst die wichtigsten Mittel der Erziehung, der aber vor allem auch der Kunstgenuß durch reinigende Entladung der Affekte dienen soll. In der Zeit nach Aristoteles überwog immer mehr die encyklopädische, wissenschaftliche Belehrung gegen die Pflege der Tugend, und die Erziehung nahm eine einseitig rhetorische Färbung an. Bei den Stoikern trat daneben der Gedanke einer allgemein menschlichen Erziehung in den Vordergrund, während bis dahin der national griechische Gesichtspunkt der herrschende gewesen war. In dieser Gestalt wurde die P. der Griechen nach Rom übertragen, das bis dahin manches leuchtende Beispiel patriarchalischer, sittenstrenger Erziehung, aber keine systematische P. aufgestellt hatte. Auch die P., welche sich in Rom unter dem Einfluß der griechischen Bildung allmählich herausbildete (Cicero, Quintilian), übertrifft die griechische nur in der praktischen Anbequemung an die Bedürfnisse des öffentlichen Lebens, zumal in der Schulung des künftigen Redners, erreicht sie aber nicht in der Tiefe der Grundgedanken.

Das Christentum übernahm das Interesse an der Jugenderziehung schon aus dem Alten Testament. Aber sein Stifter erhob die israelitische Grundidee des auserwählten Volkes Gottes zu dem Ideal eines Reichs Gottes, das die Auserwählten aller Völker umfassen soll. In diesem fanden die besten unter den Anhängern der alten Weisheit die von der Stoa gepflegte Idee der Einheit des Menschengeschlechts verklärt und veredelt wieder, und dies Reich Gottes bezeichnete namentlich auch das Ziel aller Erziehung, das damit in glücklichster Weise an der Grenze der sinnlichen und der geistigen, der diesseitigen und der jenseitigen Welt aufgestellt war. Ohne eine systematische P. auszubilden und im Kampf mit der Welt zu asketischer Einseitigkeit geneigt, stellte die alte Kirche im ganzen doch das Muster einer edlen, menschlichen Erziehung auf. Später verengerte sich der religiöse Gesichtskreis durch die Ausbildung der hierarchischen Kirchenverfassung und durch den Zusammensturz der alten Kultur in der Völkerwanderung. Daher der tiefe Verfall der anfänglich segensreich wirkenden Kloster- und Domschulen in äußerliche und oberflächliche Beschäftigung mit den sogen. sieben freien Künsten (artes liberales), dem weder in der weltförmigern und freiern ritterlichen Erziehung ohne tiefern Unterricht noch in den städtischen Schulen, welche in der letzten Hälfte des Mittelalters das Bedürfnis der erwerbenden Stände hervorrief, ein genügendes Gegengewicht die Wage hielt. Aus dieser Barbarei erhob sich die P. seit dem 15. Jahrh. durch die Rückkehr zu den Schriften der Alten, denen zuerst in Italien wieder tiefer eingehende Beachtung gewidmet ward. Enge Verbindung der Philologie mit der Religion ist das auszeichnende Merkmal der P. im Kreis der deutschen Humanisten und Reformatoren, ihr typischer Vertreter Philipp Melanchthon, neben ihm Joachim Camerarius und Johannes Bugenhagen, der Organisator der Kirchen und Schulen. Dem Gedanken einer allgemeinen Vorbildung, der im Mittelalter einzelnen erleuchteten Geistern, wie z. B. Karl d. Gr., vorgeschwebt hatte, trat man vom religiösen Standpunkt aus näher. Luther schuf den Boden und streute die Saat der spätern deutschen Volksschule in seiner deutschen Bibel und im Kleinen Katechismus. Doch galt das Hauptinteresse des Zeitalters

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0598.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2022)
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