verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12 | |
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Angeregt von den Philanthropen war auch der Domherr F. E. v. Rochow, der sich aber bei der berühmten Schulverbesserung auf seinem Gut Reckahn bei Brandenburg enger als jene an die wirklichen Bedürfnisse des Lebens anschloß und sich auf das Gebiet der Volksschule beschränkte. Die meisten praktischen Unternehmungen der Philanthropen (Philanthropine) waren von kurzer Dauer; die von ihnen ausgegangene Anregung auf die P. der Zeit erwies sich dagegen als sehr wirksam. Als verwandt und mehrfach verbunden mit der Richtung der Philanthropen kann die der sogen. Sokratiker bezeichnet werden, welche hauptsächlich eine zeitgemäße verständige Erteilung des Religionsunterrichts nach Sokratischer Methode anstrebten, dabei aber oft vergaßen, daß die Religion keineswegs bloß Erkenntnis Gottes ist, und daß es namentlich für Kinder weit wichtiger ist, lebhafte Eindrücke und lebendige Anschauungen von wahrer Frömmigkeit zu erhalten, als verständig und aufgeklärt über Gott und göttliche Dinge zu urteilen. Aus diesem Kreise sind J. L. v. Mosheim (gest. 1755), G. F. Dinter (gest. 1831) und der Kantianer Gräffe (gest. 1808) zu nennen.
Von den Grundideen Rousseaus und teilweise von denen der Philanthropen ging endlich der Begründer der neuern P., Joh. Heinr. Pestalozzi (gest. 1827), aus; nur wollte er die allgemeine Menschenerziehung, welche allein der Natur folgen darf und in allen Menschen den Grund der höhern Bildung legen muß, neben der besondern Standes- und Berufsbildung, nicht im feindlichen Gegensatz gegen diese pflegen. Allgemeine Emporbildung der natürlichen Menschenkräfte war ihm für die erstere, welche er vorzugsweise bearbeitet hat, das Ziel und die Aufgabe; das Ausgehen von der Anschauung, der lückenlose Fortschritt bei fester Einprägung des durchgearbeiteten Lehrstoffs, stets parallele Entwickelung des Erkenntnis- und des Sprachvermögens sind die Grundzüge seiner Methode. Zahl, Form und Sprache bezeichnet er als die Grundformen der geistigen Anschauung, aus denen er die großen Gebiete des Unterrichts ableitet. Unterricht und Erziehung werden überall in die engste Beziehung gesetzt. Das eigentliche Gebiet, auf dem Pestalozzis P. unmittelbaren Einfluß gewonnen hat, ist der niedere, bez. der erste Jugendunterricht; hier aber ist sein Einfluß geradezu unberechenbar groß gewesen, obwohl seine eignen praktischen Unternehmungen es nie zu dauernder Blüte gebracht haben. Neben dem gesunden Kern in seinen oft paradox eingekleideten pädagogischen Ideen trug zu diesem Erfolg die aufopfernde Begeisterung Pestalozzis für das leibliche und geistige Wohl der Jugend das meiste bei. Als Verbreiter und teilweise Fortbildner seiner Ideen sind besonders Zeller, v. Türk, Plamann, Fröbel, Blochmann, Harnisch, Diesterweg auf praktischem, Fichte und Herbart auf theoretischem Gebiet zu nennen. Fichte (gest. 1814), welcher im Winter 1807–1808 seine berühmten Reden an das deutsche Volk hielt, empfahl in diesen die P. Pestalozzis als die beste Anweisung, der gesunkenen Nation wieder zu neuem und gesünderm Leben zu verhelfen. Er betonte dabei aber zugleich das nationale Element in der Erziehung, welches bei Pestalozzi hinter dem philanthropischen und kosmopolitischen zurücktritt. In dieser Gestalt fand die P. Pestalozzis einen empfänglichen Boden in dem tief gedemütigten preußischen Volk, dessen Lenker, besonders die Königin Luise und der Reichsfreiherr vom Stein, schon vorher auf Pestalozzi aufmerksam geworden waren.
J. F. Herbart (gest. 1841) erweiterte die P. Pestalozzis nicht bloß dadurch, daß er das gesamte Gebiet der Erziehung nach dessen Grundideen zu gestalten unternahm, sondern vertiefte sie, indem er sie auf die Ethik und die Psychologie als ihre natürlichen wissenschaftlichen Unterlagen gründete. Seine pädagogischen Ansichten legt er im Zusammenhang dar in den Büchern: „Pestalozzis Idee eines Abc der Anschauung, untersucht und wissenschaftlich ausgeführt“ (Götting. 1802, 2. Aufl. 1804), „Allgemeine P., aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet“ (das. 1806) und „Umriß pädagogischer Vorlesungen“ (2. Aufl., das. 1841) sowie in einer Reihe von kleinern Abhandlungen, unter welchen besonders die über „die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung“ hervorragt. Er teilt die ganze Erziehung in drei Thätigkeiten: Unterricht, Regierung und Zucht, oder auch in Unterricht und Erziehung im engern Sinn und verlangt das innigste Zusammengehen zwischen Erziehung und Unterricht, welche, voneinander getrennt, beide ihr Ziel verfehlen müssen. Dies Ziel ist, zugleich Charakterstärke der Sittlichkeit und Vielseitigkeit des Interesses zu erwecken und so die Anlagen des Geistes nach seinen beiden natürlichen Hauptrichtungen zur gesunden Entwickelung zu bringen. Herbart kann mit Fug als der Begründer der spekulativen P. bezeichnet werden; er zählt unter den Pädagogen der Gegenwart weit über Deutschlands Grenzen hinaus eine treu ergebene Schule, wenn auch anderseits die Begründung der P. auf die ihm eigentümlichen ethischen und psychologischen Ansichten viel Widerspruch und im Kreis der eignen Jünger verschiedene Auffassung erfahren hat. Neben ihm hat unter den großen Philosophen Deutschlands besonders Schleiermacher (gest. 1834) die P. angebaut („Erziehungslehre“, hrsg. von Platz, Berl. 1849). Nach beiden hat E. Beneke (gest. 1856) im engen Zusammenhang mit seinem psychologischen System die spekulative P. fortzubilden gesucht in seiner „Erziehungs- und Unterrichtslehre“ (4. Aufl., Berl. 1877). Wie Herbart, bekämpft Beneke die herkömmliche Lehre von den sogen. Seelenvermögen und lehrt, daß sich die Anlagen aus wenigen, zunächst nur sinnlichen Grundvermögen durch die Spuren der äußern Eindrücke bilden, eine Lehre, die ohne Zweifel einen Kern bedeutsamer Wahrheit enthält und geeignet ist, das Geschäft der Erziehung und des Unterrichts, d. h. der planmäßigen Einwirkung auf das Heranwachsen der sinnlichen Grundvermögen zu geistigen Anlagen und Vermögen, in seiner ganzen Bedeutung erscheinen zu lassen.
Neben diesen Vertretern der philosophischen P. ist eine Reihe von Männern zu nennen, welche, mehr oder minder abhängig von den verschiedenen philosophischen und theologischen Richtungen der Zeit, das Gesamtgebiet der P. systematisch und praktisch bearbeitet haben. So die Schellingianer J. J. Wagner, der die Erziehung als Erregung des jugendlichen Geistes auffaßt, und J. B. Graser mit seinem Buch „Divinität oder Prinzip der einzig wahren Menschenerziehung“ (Bair. 1811; 3. Aufl. 1830, 2 Bde.). So die mehr auf das Praktische gerichteten Pädagogen A. H. Niemeyer in seinen „Grundsätzen der Erziehung und des Unterrichts“ (Halle 1796, 9. Aufl. 1834–39; neue Ausg. von Rein, Langens. 1878–79, 3 Bde.), F. H. C. Schwarz in seinem „Lehrbuch der Erziehung und des Unterrichts“ (8. Aufl. von Curtman, Leipz. 1880–82, 2 Bde.), H. Gräfe in seiner „Allgemeinen P.“ (das. 1845). So die Theologen K. Palmer in der „Evangelischen P.“ (5. Aufl., Stuttg. 1882), G. Baur und der Hegelianer K. Rosenkranz. Auch das katholische
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0600.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2022)