verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12 | |
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aus den eingezogenen Klöstern hervorgingen, das Latein vor, welches durch künstliche Nachbildung praktisch sich anzueignen die vorzüglichste Aufgabe war. Ph. Melanchthon (1497–1560) hat in seinen Einrichtungen das Muster fast für Jahrhunderte und in Straßburg Johann Sturm (1507–89) für den Südwesten in gleicher, aber schon weniger auf die Kirche beschränkter Weise gegeben. Ausgezeichnete Schulmänner finden wir auch im Dienste der Wissenschaft, wie Joach. Camerarius (1500–1574), Jak. Micyllus (Moltzer), G. Fabricius (Goldschmied), Hieron. Wolf, Mich. Neander, Wilh. Xylander (Holtzmann), L. Rhodomann bis auf Nikodemus Frischlin (1547–90), der auch in seinem Lebensgang vielfach an die italienischen Humanisten erinnert. Neben ihnen nehmen die gelehrten Buchdrucker, besonders in Basel (Amerbach, Froben, Cratander), Frankfurt (Wechel) und Heidelberg (Commelin), und die Korrektoren ihrer Druckereien (Fr. Sylburg, Dav. Höschel) einen ehrenvollen Platz ein. Das überhandnehmende Interesse für die theologischen Zänkereien, der furchtbare Dreißigjährige Krieg drängten die klassischen Studien zurück, obwohl in den festen Schuleinrichtungen sich einiges erhielt und auch der Gegensatz zu den Jesuiten, welche Sturms Ansichten besonders in betreff der Alleinherrschaft des Lateins dem Charakter der Zeit gemäß klug benutzt hatten, zur Aufmerksamkeit nötigte. Außer mancherlei Versuchen für die Verbesserung der Schulpraxis haben die Gelehrten an der Polyhistorie festgehalten oder im Gegensatz dazu die Sprachwissenschaft allein betont in der Ausdehnung, daß sie durch die Grammatik das Verständnis, durch Rhetorik und Poetik die Imitation der Darstellung, durch Hermeneutik und Kritik die praktische Anwendung jener Disziplinen auf die Litteratur umfassen sollte. Das Griechische wurde sehr vernachlässigt und fand erst durch Gesner wieder eine anfangs sehr spärliche Pflege. Die lateinische Stilistik trat mehr zurück, seitdem die Diplomatie allmählich aufhörte, sich der lateinischen Sprache zu bedienen, und die Universitäten die Muttersprache anwendeten. Auch die Auffassung der P. als Kritik, besonders bei den Holländern, oder als Historie, wie bei Heyne und Heeren, blieb eng und unklar. Als Polyhistoren müssen die gelehrten Sammler gelten, wie J. Alb. Fabricius (1668–1736), vor ihm Kasp. v. Barth, Thomas Reines, nach ihm die aus der Schule hervorgegangenen akademischen Lehrer Christoph Cellarius (1638–1707), Joh. Matth. Gesner (1691–1761) und J. A. Ernesti (1707–81), neben welchen J. Jak. Reiske (1716–74) und Fr. Wolfg. Reiz (1733–90) mehr unter dem Einfluß der kritischen Schule der Niederländer standen. Als der letzte Vertreter dieser Polymathie steht Chr. Dan. Beck (1757–1832) in Leipzig da.
Das Aufblühen der nationalen Litteratur, zunächst herbeigeführt durch den Anschluß an das Altertum (Klopstock und Lessing, Wieland, Herder und Voß), erweckte den Sinn für das Schöne; J. J. Winckelmann (1717–68) wurde der begeisterte Erklärer antiker Kunst und versuchte sich zuerst (schwache Vorgänge bei Christ) nicht bloß in der geschichtlichen Entwickelung derselben, sondern auch in ihrer kritischen Würdigung. Die von Lessing gegebene Theorie für Kunst und Poesie kam der P. ebensosehr wie der Dichtkunst zu gute. Auch die Philosophie begann eine mächtige Wirksamkeit zu entfalten, und die politische Bewegung (Nordamerika, französische Revolution) ließ die alte Geschichte in einem ganz neuen Licht erscheinen. Manches davon hat Chr. Gottl. Heyne (1729–1812) in Göttingen mit Talent verwertet für die ästhetische Erklärung der Schriftsteller, für mythologische, antiquarische und kulturhistorische Forschungen (nur in der Grammatik und Kritik tritt er zurück); ja, er wünschte bereits für die P. und Ästhetik an den Universitäten eine besondere Fakultät, die das Altertum als ein Ganzes umfassen sollte. Unter seinen Schülern ist Fr. Jacobs (1764–1847) der bedeutendste; Mitscherlich (1760–1854) und Dissen (1784–1837) sind außerdem zu erwähnen; auch Joh. Gottl. Schneider (1750–1822), Aug. Matthiä (1769–1835), G. Friedr. Grotefend (1775 bis 1853) sind in Göttingen gebildet worden.
Das philologische Studium gleichsam zu emanzipieren von der dienstbaren Beziehung zu andern Wissenschaften, alle Verflüchtigung in Polyhistorie, alle Bevorzugung formaler Fertigkeiten zu beseitigen und ihr eine klar bestimmte, praktische Aufgabe und damit eine selbständige Stellung gegeben zu haben, ist das Verdienst von Fr. A. Wolf (1759–1824), und man kann dies von dem Tag an rechnen, an welchem er in Göttingen darauf bestand, als studiosus philologiae inskribiert zu werden. Die Kenntnis der altertümlichen Menschheit wurde das Ziel dieser Altertumswissenschaft; das Leben des klassischen Altertums sollte reproduziert werden. Die 24 Disziplinen, deren lange Reihe nach Wolf das Gebiet der P. darstellen soll, sind freilich weder durch ein geistiges Band verbunden, noch auf natürliche Weise aus ihrem Mittelpunkt, dem klassischen Altertum, hervorgegangen. Aber Wolf hat nicht bloß, durch einen glücklichen Instinkt geleitet, einzelne Disziplinen viel besser behandelt, z. B. die Litteraturgeschichte, sondern auch durch seine kritische Methode, namentlich bei den Untersuchungen über die Entstehung der Homerischen Gedichte (1795), ein unübertreffliches Muster für andre Wissenschaften gegeben. Nicht minder hoch ist sein Einfluß als Lehrer in Halle (bis 1806) anzuschlagen, denn seinen Schülern ist die rasche Entwickelung der Gymnasialstudien in Preußen und anderwärts zu danken, und dabei maßgebende Männer, wie W. v. Humboldt und Süvern, benutzten seinen Rat. Die Sprache behandelte Wolf nur als ein Organ, das den Realien gegenüber eine untergeordnete Stelle einnahm, und deshalb wurden Grammatik, Kritik und Hermeneutik nur als Hilfswissenschaften betrachtet. Dadurch trat die Ansicht, welche die P. als Sprachwissenschaft allein auffaßte, in Gegensatz zu Wolf, doch mehr zu dessen Schülern als zu dem Meister selbst. Gottfr. Hermann (1772–1848) hat keine vollständige Darstellung seines Systems gegeben, aber er beschränkte sich wesentlich auf Kritik und Grammatik. Genial wie Bentley, fein und scharf, begründete er die rationale Auffassung der Grammatik nach Kantschen Prinzipien, schuf die Metrik, leistete Glänzendes in der Kritik und wurde der Gründer einer Schule, in der auch des Lehrers edle Persönlichkeit wirkte. Seine Schüler, hauptsächlich der griechischen Litteratur zugewendet, sind: Chr. A. Lobeck (1781–1860), der in Königsberg eine durch K. Lehrs fortgesetzte eigne Schule bildete, A. Seidler in Halle (1779–1851), Fr. Thiersch (1784–1860), der in Bayern die Gründung dieser Studien besonders gefördert und ihre Blüte an den Universitäten (Döderlein, Nägelsbach, Halm, Urlichs, Christ, Bursian) gesichert hat, Fr. Passow, A. Ferd. Näke, K. Fr. Hermann (1804–55), A. Meineke, K. Reisig (1792–1829), Fr. Poppo, die Gebrüder Dindorf, Westermann, Sauppe, Bergk, Nipperdey, M. Haupt (1808–74), der dann in Verbindung mit K. Lachmann
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 1012. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s1012.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2022)