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Seite:Meyers b12 s1020.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12

Skeptizismus und Sensualismus durch die Wiederbelebung des Platonismus zu steuern und die Kluft zwischen der sinnlichen (Erscheinungs-) und übersinnlichen (Ideen-) Welt teils (theoretisch) durch stufenweises Sicherheben von sinnlicher zu übersinnlicher (intellektualer) Anschauung bis zu (mystischem) Einswerden des Endlichen mit dem Unendlichen, teils (praktisch) durch stufenweises Abtöten der Sinnlichkeit (Askese) zu überbrücken, woraus die Schule des Plotinos (3. Jahrh. n. Chr.), der Neuplatonismus, hervorgegangen ist, welche die Reihe originaler Philosophien des Altertums beschloß.

Das Mittelalter, in welchem im Abend- und Morgenland die P. nur im Dienste dort der christlichen, hier der islamitischen Theologie als Schulphilosophie (Scholastik) auftrat, hat keine solche hervorgebracht. Dasselbe schloß sich im Abendland (seit Scotus Erigena, gest. 880) dem Neuplatonismus und (entstellten) Platonismus, im Morgenland und in dem mohammedanischen Spanien seit der Herrschaft der Araber dem (mangelhaft bekannten) Aristoteles an. An dem Gegensatz beider in der Feststellung des Verhältnisses zwischen dem Allgemeinen (universale) zum Besondern (res) entzündete sich der Streit zwischen den sogen. Realisten (Platonikern), welche das Allgemeine für wirklich (universalia ante rem), und den Nominalisten und Konzeptualisten (Aristotelikern), welche dasselbe für ein bloßes Wort (nomen) oder einen zusammenfassenden Gedanken (conceptus, Begriff) erklärten (universalia post rem oder in re), in welchem anfänglich die erstern (Anselm von Canterbury gegen Roscelinus und Abälard, 11. und 12. Jahrh.), nachher (13. und 14. Jahrh.) die letztern (Albertus Magnus und Thomas von Aquino gegen Duns Scotus) die Oberhand behaupteten. Der herrschenden, aber der Theologie dienstbaren, ging eine unterdrückte, aber kirchlich unabhängige Richtung parallel, die im Morgenland als Sûfitum, im Abendland als (häufig ketzerische) Mystik das philosophische Problem, statt durch Vernunft oder sinnliche Erfahrung, durch innere Erleuchtung (Intuition, Inspiration) zu lösen versuchte.

Zwischen dem Ausgang der Scholastik und dem Beginn der neuern P. liegt eine Übergangsepoche, in welcher unter dem Einfluß der beginnenden Naturwissenschaften und des klassischen Humanismus teils Philosophien des Altertums erneuert, teils (halb phantastische, an die Physik der Ionier erinnernde) Erweiterungen der neugewonnenen Naturauffassung (Nik. von Cusa, Giordano Bruno, Campanella) versucht wurden. Die philosophische, aus „Liebe zum Wissen“ entsprungene Erneuerung der P. wurde infolge des Zweifels an der Geltung des rationalen Wissens bei Bacon, des Zweifels am Wissen überhaupt bei Descartes herbeigeführt. Bacon (1561–1626) setzte dem deduktiven (das Besondere aus Allgemeinem ableitenden) Schlußverfahren (der Aristotelischen Syllogistik) das (übrigens gleichfalls Aristotelische) induktive (das Allgemeine aus dem Besondern ableitende) Schlußverfahren entgegen, allerdings mit dem (wesentlichen) Unterschied, daß er die unvollständige (nur wahrscheinliche) Induktion als ein Wissen gelten ließ. Descartes (1596–1650) setzte dem absoluten Zweifel die durch die Thatsache des Zweifelns bewährte Thatsache des eignen Denkens: cogito, entgegen, aus dessen Gewißheit die Gewißheit des eignen Seins: sum, unmittelbar folgt. Des erstern Ziel geht dahin, mittels Induktion aus der Erfahrung, des letztern Ziel geht dahin, mittels Deduktion aus dem selbst unmittelbar Gewissen das Ganze des Wissens zu gewinnen. Jener (Baconsche) Empirismus begriff unter Erfahrung sowohl äußere als innere, der seines nächsten Nachfolgers, Hobbes (1588–1679), dagegen nur äußere (Sensualismus), was zur Folge hat, daß das Wissen von Nichtkörperlichem (Immateriellem, Geist) ausgeschlossen und die Nichtexistenz des Immateriellen behauptet wird (Materialismus). Dieser (Cartesianische) Rationalismus begriff unter dem unmittelbar Gewissen angeborne Ideen, z. B. die Gottesidee, was zur Folge hat, daß zwar die Existenz der eignen (denkenden) Substanz (des Geistes) und die der Gottheit gewiß, die Existenz der (ausgedehnten) Substanz (der Materie, der Körperwelt) aber ungewiß und nur durch die Existenz Gottes, dessen Wahrhaftigkeit uns nicht kann täuschen wollen, verbürgt ist. Derselbe spaltet die (geschaffene) Welt in zwei für einander unzugängliche Hälften (Dualismus), deren Einwirkung aufeinander nur durch „göttliche Assistenz“ oder (nach Geulings) „okkasionalistisch“ dadurch hergestellt werden kann, daß Gott im Geiste die der körperlichen Bewegung korrespondierende Empfindung oder im Körper die der geistigen Empfindung korrespondierende Bewegung ins Leben ruft. Spinoza (1632–77) setzte diesem Rationalismus die Lehre von der all-einen Substanz (Monismus), deren Attribute Materie und Ausdehnung sind, Leibniz (1646–1716) die Lehre von der alleinigen Existenz einfacher (immaterieller) Substanzen (Monaden, daher Monadologie), durch welche die (ausgedehnte) Materie in ein bloßes Scheinwesen (phaenomenon) verwandelt wird, entgegen. Durch jene sollte dem Zufall wie der Willkür vorgebeugt, die unter sich identische Ordnung und Reihenfolge der Ideen wie der Dinge als notwendige unendliche Abfolge (natura naturata) aus der all-einen Substanz (natura naturans) nach genetischer Methode dargethan und auf diese Weise das Ziel seiner „Ethica“, die Beseitigung aller Affekte (der Furcht wie der Hoffnung), erreicht werden. Durch diese sollte gleichfalls dem Zufall und der Willkür vorgebeugt, die beiden scheinbar entgegengesetzten Reiche der wirkenden (blinden) und Zweck- (bewußten) Ursachen, der Natur und der „Gnade“, als identisch dargethan, die Welt, als von Anbeginn her harmonisch organisiertes Geisterreich (prästabilierte Harmonie) unter der Herrschaft des größten und besten Monarchen, als die (nicht mangellose, aber unter allen überhaupt möglichen) beste Welt erwiesen und dadurch die Klage über das Übel und die Unvollkommenheit derselben für immer beseitigt werden („Théodicée“). Diesem gesamten Rationalismus, der aus evidenten angebornen Ideen, insbesondere der Gottesidee, folgerte, setzte der Fortsetzer Bacons, Locke (1632–1704), den Nachweis entgegen, daß die Idee Gottes nicht angeboren, die Gesamtheit unsrer Ideen, sei es durch äußern (sensation), sei es durch innern Sinn (reflection), erworben und der Inhalt der Empfindung mit dem des Empfundenen keineswegs notwendig identisch, also sogar unsre Sinneserfahrung nichts weniger als untrüglich, weniger „real“ als „ideal“ sei. Dieser skeptische Wink, daß auch das empirische Wissen teilweise kein Wissen sei, wurde von Berkeley (1648–1753) dahin gedeutet, daß all unser Wissen von einer Körperwelt Scheinwissen (empirischer Idealismus), von Hume (1711–76) dahin erweitert, daß mit Ausnahme der analytischen Urteile (wie es die mathematischen seien) kein sicheres Urteil möglich sei und die Voraussetzung aller Erfahrung, das Verhältnis von Ursache u. Wirkung, auf bloßer durch Zeitfolge gewisser Erscheinungen hervorgebrachter Gewöhnung beruhe.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 1020. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s1020.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2022)
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