verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13 | |
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(Heidelb. 1808) und den „Dämmerungen für Deutschland“ (Tübing. 1809). Das letztere Buch, gedruckt in der Zeit, als Davoût das Baireuther Land besetzt hielt, legt auch deshalb ein schönes Zeugnis für Jean Pauls männlichen Mut und edlen Sinn ab, weil er es veröffentlichte, nachdem ihm soeben durch den ganz von dem französischen Imperator abhängigen Fürst-Primas v. Dalberg eine Jahrespension von 1000 Gulden ausgesetzt worden war. Nachdem dieselbe mit dem Großherzogtum Frankfurt 1813 zu Ende gegangen, bezog der Dichter seit 1815 einen gleichen Jahrgehalt von dem König von Bayern. Aus den spätern Lebensjahren Jean Pauls sind zu verzeichnen als bedeutendere Schriften: „Das Leben Fibels“ (Nürnb. 1811), „Der Komet, oder Nikolaus Marggraf“ (Berl. 1820–22, 3 Bde.), die beiden letzten größern Arbeiten des Dichters in der komischen Gattung; ferner das Buch „Selina, oder: Über die Unsterblichkeit der Seele“ (Stuttg. 1827, 2 Bde.) und endlich das Fragment einer Selbstbiographie, das unter dem Titel: „Wahrheit aus Jean Pauls Leben“ (Bresl. 1826) erschien und die Jugenderinnerungen des Dichters enthält. Einen tiefen Schatten warf auf Jean Pauls Lebensabend der Tod seines einzigen Sohns, der 1821 als Student in Heidelberg starb. Seitdem kränkelnd und über Jahresfrist des Augenlichts fast ganz beraubt, beschloß er sein Dasein 14. Nov. 1825 in Baireuth, wo König Ludwig I. von Bayern 1841 sein Erzstandbild (von Schwanthaler) errichten ließ.
Jean Paul nimmt eine eigentümliche und schwer zu definierende Stellung innerhalb unsrer klassischen Litteraturperiode und zwischen den sich drängenden Richtungen seit dem Beginn des 19. Jahrh. ein. Unzweifelhaft vom besten Geiste des 18. Jahrh., von dem in heißen Kämpfen und mannigfachen Irrungen gewonnenen „Ideal der Humanität“, beseelt, schloß er sich doch in seiner Darstellungsweise weit mehr an die frühern Schriftsteller als an Lessing, Goethe oder Schiller an. Die Engländer, vor allen Swift und Sterne, die Franzosen Voltaire und Rousseau, die ostpreußische Schriftstellergruppe Hamann, Hippel und Herder beeinflußten die Entwickelung seines Talents und führten ihn im Verein mit seinem eignen Naturell und seinem persönlichen Schicksal auf wunderliche Abwege. Gemeinsam mit unsern großen Dichtern blieben R. die Überzeugung von der Entwickelungsfähigkeit des Menschengeschlechts und ein freiheitlicher Zug, der allein hinreicht, ihn von den eigentlichen Romantikern zu trennen. R. gelangte niemals zu einer Entwickelung im höhern Sinn des Wortes. Der Abstand zwischen seinen frühsten und spätesten Werken ist ein beinahe unwesentlicher; in seiner Empfindung bewahrte er neben der jugendlichen Frische die jugendliche Unreife, das „ewige Jünglingstum“. Die Widersprüche des unendlichen Gefühls und des beschränkten realen Lebens bildeten den Ausgangspunkt aller seiner Romane; aus denselben gingen die weichen, wehmut- und thränenvollen Stimmungen hervor, über die er sich dann durch seinen unter Thränen hell lachenden Humor erhob. In einer empfindungsreichen, ja empfindelnden Zeit, wo Tausende und aber Tausende den gleichen Drang, die gleichen Widersprüche in sich fühlten, ohne ihre Empfindung, wie Jean Paul, vertiefen, ihr Mißgefühl durch Humor überwinden zu können, mußte der Dichter den größten Erfolg haben; die schreienden Mängel seiner Darstellung wurden geleugnet; ja, sie scheinen in den meisten Kreisen gar nicht empfunden worden zu sein. R. gelangte nur in dem Idyll und in den besten Episoden seiner größern Romane zu wirklich künstlerischer Gestaltung; meist wurden bei ihm Handlung und Charakteristik unter einer wuchernden Fülle von Einfällen, reflektierenden Abschweifungen, Episoden und fragmentarischen Einschiebseln verdeckt und erstickt. Verhängnisvoller noch als sein verschwimmendes Stimmungsleben und seine Neigung zur breitesten Ausdehnung alles Episodischen ward für ihn die oben schon erwähnte Vielleserei, in der er ein Gegengewicht gegen die Enge seiner Verhältnisse gesucht hatte, und in ihrer Folge die leidenschaftliche Bilderjagd und Citatensucht. Alle diese Mängel vereint drückten seinem Stil mit endlosen Perioden und unzähligen Einschachtelungen den Charakter des Manierierten auf, den der Dichter nur da abstreift, wo er von seinem Gegenstand aufs tiefste ergriffen und in innerster Bewegung ist. Gegenüber dem Enthusiasmus, welcher R. eine Zeitlang zum gefeiertsten Schriftsteller der Nation erhob, heftete sich die spätere Kritik wesentlich an die bezeichneten Unvollkommenheiten seiner Erscheinung. Es kam eine Zeit und Stimmung, in der der Enthusiasmus für Jean Paul auf eine Linie mit dem für die verächtlichsten Modeschriftsteller gesetzt ward und die hohen, unvergänglichen Vorzüge des Dichters völlig in Vergessenheit zu geraten drohten. Während in seinen ausgedehntern Werken, der „Unsichtbaren Loge“, dem „Hesperus“, dem „Titan“ und „Komet“, nur einzelne glänzende Beschreibungen, humoristische Episoden oder jene zahlreichen „schönen Stellen“ noch zu fesseln vermögen, die für Jean Pauls Werke geradezu verhängnisvoll geworden sind, gewähren alle in ihren Hauptteilen idyllischen oder entschieden humoristischen Dichtungen einen weit reinern Genuß und lassen, wenn auch nicht völlig frei von der Manier, doch das Talent und die tiefern Eigentümlichkeiten besser hervortreten. Im „Vergnügten Schulmeisterlein Wuz“, im „Quintus Fixlein“, in „Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Siebenkäs“, im größern Teil der „Flegeljahre“ treten Jean Pauls Vorzüge entscheidend zu Tage. Unter ihnen steht die liebevolle, reine Teilnahme des Dichters an allen Mühseligen und Beladenen, an den Armen, Bedrückten und Bedrängten im Vordergrund. R. weiß ohne jede tendenziöse Bitterkeit mit rührender Treue alle Leiden und Freuden der Armen, die unerschöpfliche Fülle des Herzensreichtums, der Liebe und Opferfreudigkeit, die gerade bei ihnen vorhanden ist, darzustellen. Sein Blick für das Köstliche im Unscheinbaren, das Große und Ewige im Beschränkten ist tief und beinahe untrüglich, seine Schilderungen des Kleinlebens sind von unvergänglichem Reiz. Auch seine Naturliebe verleiht allen seinen Werken Partien von bestrickendem Zauber. Seine scharfe Beobachtung des Komischen wirkt unwiderstehlich, und alle diese Vorzüge erwecken lebhaftes Bedauern, daß der liebenswürdigen und idealen Natur des Dichters das Erreichen klassischer, künstlerisch vollendeter Form versagt blieb. Richters Werke erschienen gesammelt in erster, aber ungenügender Ausgabe in 60 Bänden (Berl. 1826–38), besser in 33 Bänden (das. 1840–1842; 3. Ausg. 1860–62, 34 Bde.) sowie in Auswahl in 16 Bänden (2. Ausg., das. 1865); ferner in der Hempelschen Ausgabe, mit Biographie von Gottschall (das. 1879, 60 Tle.; Auswahl 31 Tle.) und in Kürschners „Deutsche Nationallitteratur“ (hrsg. von Nerrlich, Stuttg. 1882 ff.). Nach des Dichters Tod erschien noch „Der Papierdrache“ (hrsg. von E. Förster, Frankf. 1845, 2 Bde.). Von seinen Briefen sind zu nennen: „Jean Pauls Briefe an Friedr. Heinr. Jacobi“ (Berl. 1828); „Briefwechsel Jean Pauls
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s0813.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)