verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13 | |
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ou l’amant de lui-même“ (1753) vollständig durch. In demselben Jahr erschien seine „Lettre sur la musique française“, mit welcher er durch seine Parteinahme für die italienische Musik einen heftigen Sturm gegen sich erregte. Seine zweite größere Schrift war wiederum von der Akademie zu Dijon angeregt und handelte von dem Ursprung und den Gründen der Ungleichheit unter den Menschen („Discours sur l’inégalité parmi les hommes“, 1754); auch diese Schrift enthält die heftigsten Anklagen gegen die Gesellschaft. In dieser Zeit machte er eine Reise nach Genf, wo er glänzend empfangen wurde und zum Calvinismus zurücktrat; er nannte sich von nun an mit Vorliebe „Citoyen de Genève“. Nach seiner Rückkehr nach Paris schrieb er die „Lettre à d’Alembert contre les spectacles“ (1758) und trat in eine heftige Polemik mit Voltaire ein, die bald in die bitterste Feindschaft ausartete. Seit 1756 bewohnte er auf eine Einladung der Frau v. Epinay ein Gartenhäuschen im Wald von Montmorency, die berühmte, später umgebaute „Eremitage“. Hier, in der Einsamkeit, inmitten einer herrlichen Natur, hoffte er ein glückliches und ruhiges Leben führen zu können; aber seine häusliche Misere, seine heftige, sinnliche Leidenschaft für die Gräfin d’Houdetot und besonders sein krankhaftes Mißtrauen und seine nervöse Reizbarkeit, die den Bruch mit seinen besten Freunden, Grimm, Diderot und Frau v. Epinay, herbeiführte, machte den Aufenthalt in der Eremitage unmöglich; er bezog eine Gartenwohnung zu Mont Louis in der Nähe von Montmorency. Hier lebte er auf einem Lustschloß, welches ihm der Herzog von Luxembourg zur Verfügung stellte, von 1757 bis 1762, und wenn auch sein Gemüt nicht gesundete, so sind hier doch seine berühmtesten Werke vollendet worden: „Julie, ou la Nouvelle Héloïse“ (1760), „Du Contrat social, ou Principes du droit politique“ (1762) und „Émile, ou de l’Éducation“ (1762). Aber auch er teilte das Geschick aller Propheten. Aus Frankreich verbannt, wo das Parlament die Verbrennung des „Émile“ und die Verhaftung des Verfassers dekretiert hatte, in seiner Vaterstadt, wo man seine Schriften öffentlich verbrannt hatte, geächtet, mußte er in dem damals preußischen Neuchâtel, im Dorf Moitiers-Travers, eine Zuflucht suchen; günstig nahm ihn der Gouverneur des Ländchens, der Marschall Georg Keith, auf. Von hier schrieb er seine Streitschrift an den Erzbischof von Paris und die berühmten „Lettres de la montagne“, worin er die Glaubensfreiheit gegen Kirche und Polizei in Schutz nahm. Doch die Intrigen seiner Feinde ließen ihn auch hier nicht ruhen. Auf Anstiften des protestantischen Geistlichen machten die fanatisierten Bauern einen Angriff auf sein Haus und vertrieben ihn aus ihrem Dorf (Sommer 1765). Auch von der Petersinsel im Bieler See, wohin er sich geflüchtet, wurde er verjagt; schon wollte er sich auf die Einladung Friedrichs II. nach Berlin begeben, als er den dringenden Bitten Humes, nach England überzusiedeln, nachgab. Aber auch dort war seines Bleibens nicht lange; sein Menschenhaß, der durch die Leiden der letzten Jahre allmählich in Verfolgungswahnsinn ausgeartet war, vielleicht auch einige Rücksichtslosigkeiten seines Gastgebers, besonders aber wohl der Anstoß, den die englische Gesellschaft an seinem Verhältnis zu Therese nahm, führte bald den Bruch herbei. Schon 1. Mai 1767 landete er in Frankreich, erhielt 1770 die Erlaubnis, nach Paris zurückzukehren, wo er in der Rue Plâtrière (die jetzt seinen Namen trägt) eine Wohnung bezog, und vollendete dort die schon in England begonnenen „Confessions“ (deutsch von L. Schücking, Hildburgh. 1870), worin er mit einer oft empörenden Offenheit und Rücksichtslosigkeit gegen sich und andre sein ganzes Leben der Welt darlegte. In langer armenischer Kleidung wandelte er damals melancholisch unter den Parisern umher, trieb Musik und Botanik und nährte sich vom Notenschreiben, bis er im Mai 1778 vom Marquis v. Girardin die Einladung erhielt, in Ermenonville, unweit Paris, ein stilles Landhaus zu beziehen. Hier starb er plötzlich 2. Juli d. J., wie einige vermuten, eines freiwilligen Todes. 1794 wurden seine Gebeine (von Ermenonville) feierlich im Panthéon beigesetzt, von wo sie unter der Restauration heimlich wieder entfernt sein sollen; seine Landsleute aber errichteten auf der nach ihm benannten Rousseauinsel in Genf ihrem größten Bürger ein Denkmal. Außer den angeführten Werken schrieb R.: „De l’imitation théâtrale“ (1764); das Melodrama „Pygmalion“, welches Berquin in Verse brachte; die Abhandlung über die „Vertu la plus nécessaire aux héros“ (1769); ein „Dictionnaire de musique“ (1767); „Lettres sur la botanique“; „Dialogues“, Briefe etc. Mehrere Schriften wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht, wie „Le Lévite d’Ephraïm“; „Émile et Sophie, ou les Solitaires“, eine schwächliche Fortsetzung des „Émile“; die „Considérations sur le gouvernement de Pologne“ und endlich die „Confessions“, die vervollständigt wurden durch eine Art Tagebuch: „Les rêveries du promeneur solitaire“, die gegen seinen ausdrücklichen Wunsch schon drei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden.
Mehr als Voltaire bestimmte R. die geistige Physiognomie des alternden 18. Jahrh. Aufgewachsen in einer Stadt, die durch harte Kämpfe gegen Gewalt und Übermut frei und groß geworden, in welcher strenge calvinistische Zucht wahre und tiefe Frömmigkeit nicht ausschloß, mit einem Herzen voll glühender Liebe zur Natur, deren Großartigkeit und Lieblichkeit in ihm einen begeisterten Lobredner fand, trefflich gewappnet mit dem geistigen Rüstzeug des philosophischen Jahrhunderts, ein scharfer Denker, von der feurigsten Beredsamkeit, daneben von einer Betonung des eignen Ichs, von einer Selbstsucht und Überhebung, die in ihrer Übertreibung geradezu widerwärtig wirken: unternimmt er es, die moralischen und politischen Verhältnisse umzuformen, indem er den glänzenden Schleier, welcher die Fäulnis und das Elend des sozialen Lebens verhüllte, mit kühner Faust zerriß und vollständige Umkehr predigte, die Rückkehr zur natürlichen Empfindung und zur reinen Bürgertugend. Seine Hauptwerke geben uns ein anschauliches Bild seines Systems. Wenn er in der Abhandlung über die Verderblichkeit der Bildung nachwies, daß mit dem Fortschreiten der Kultur der Verfall der Sitten Hand in Hand gegangen sei, daß Irrtum und Vorurteil unter dem Namen Philosophie die Stimme der Vernunft und der Natur erstickt hätten, so zeichnet er im „Émile“ das Ideal eines Bürgers und die Mittel, das Kind zu einem solchen zu erziehen. Fern von der Welt und dem verderblichen Einfluß der Gesellschaft soll die Seele des Kindes sich bilden; da der Mensch von Natur gut ist, so braucht nur Irrtum und Laster fern gehalten zu werden; dann wird der Knabe lernen, natürlich und richtig zu fühlen und zu denken, ohne daß Vorurteil und konventionelle Begriffe die Klarheit seiner Anschauungen beeinträchtigen; dann wird er von selbst Wissenschaft und Kunst und zuletzt auch Gott finden lernen. Den Glanzpunkt des „Émile“ aber bildet das Glaubensbekenntnis
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 1013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s1013.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2023)