verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1 | |
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mit gezogenen Vorderladekanonen nachdem System La Hitte zu bewaffnen, um ihr dadurch im Feldzug 1859 in Oberitalien die Überlegenheit über die österreichische A. zu sichern, was auch erreicht wurde. Infolgedessen kamen in Österreich 1863 gezogene Vorderladekanonen nach Lenks Bogenzugsystem zur Einführung. Hier entstanden, um schnellere Bewegungen der Feldartillerie zu ermöglichen, die Kavallerie- oder fahrenden Batterien, bei denen die Bedienungsmannschaften auf wurstähnlichen Reitsitzen der Lafetten und Munitionswagen (Wurstwagen) saßen; in Preußen, wo sie auf den Handpferden und dem Protzkasten saßen, wurde mit dem System C/64 mit seinen Gußstahlachsen, Rädern mit Bronzenaben und den Achssitzen etc. ein solches Maß von Beweglichkeit erreicht, daß diese Geschütze nicht nur das Fahren in den schnellsten Gangarten der Pferde, in welcher sie der Kavallerie zu folgen vermögen, gestatten, die Biegsamkeit zwischen Protze und Lafette ermöglicht auch ein Anpassen an so erhebliche Unebenheiten des Terrains, daß die A. im allgemeinen mit ihren Geschützen dahin zu kommen vermag, wo sich Kavallerie bewegen kann. Diese technische Vervollkommnung des Artilleriematerials gestattete eine taktische Verwendung der Feldartillerie, welche sie den beiden Hauptwaffen kämpfender Armeen, der Infanterie und Kavallerie, als dritte Hauptwaffe ebenbürtig zur Seite stellte.
Die fortschreitende technische Entwickelung der A. nahm, je nach dem Verwendungszweck der letztern im Feld-, Gebirgs-, Festungs-, See- oder Küstenkrieg, immer mehr einen den lokalen Bedingungen dieser Gebrauchsarten entsprechenden eigenartigen Charakter an, so daß man nach und nach ein besonderes Artilleriematerial in diesen Richtungen zu unterscheiden begann, dem erst später (1872) in Bezug auf Feld- und Festungsartillerie eine getrennte Organisation der Truppe folgte. Die Küstenartillerie wird aber bis jetzt noch, mit Ausschluß der zum Schutz der Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshaven errichteten Küstenbefestigungen, deren artilleristische Verteidigung den Matrosen-Artillerieabteilungen zufällt, durch das 1. und 2. Fußartillerieregiment und 9. Fußartilleriebataillon vertreten; doch darf die Formierung einer Küstenartillerie als Truppe wohl nur als eine Frage der Zeit angesehen werden.
Vgl. J. Hartmann, Vorträge über A. (Hannov. 1856–63, 3 Bde.); Derselbe, Handbuch für Offiziere der preußischen A. (neue Ausg., Berl. 1872); Rutzky, Artillerielehre (Wien 1871); Oelze, Lehrbuch der A. für preußische Avancierte (Berl. 1856); Witte, Artillerielehre (das. 1873). Geschichtliches: Fronsperger, Vom Geschütz, Feuerwerk und Festungen (1557); v. Decker, Versuch einer Geschichte des Geschützwesens (Berl. 1812); Venturi, Von dem Ursprung und den Fortschritten des heutigen Geschützwesens (a. d. Ital. von General Rödlich, das. 1822); Brunet, Histoire générale de l’artillerie (Par. 1842); v. Schöning, Geschichte der brandenburgisch-preußischen A. (Berl. 1844–45, 3 Bde.); Favé, Études sur le passé et l’avenir de l’artillerie, ouvrage continué à l’aide des notes de S. M. l’Empereur (Par. 1846–63, 4 Bde.; Bd. 1 u. 2 unter dem Titel: „Napoleon III. über die Vergangenheit und Zukunft der A.“ übersetzt von H. Müller, Berl. 1856–57, 2 Bde.); Hoffbauer u. Leo, Die deutsche A. in den Schlachten und Treffen des deutsch-französischen Kriegs 1870–71 (das. 1872–78, 8 Hefte); Dieselben, Taktik der Feldartillerie (das. 1876); v. Schell, Studien über Taktik der Feldartillerie (das. 1877–79, 3 Hefte); H. Müller: Entwickelung der Feldartillerie 1815–70 (das. 1873), Die preußische Festungs- und Belagerungsartillerie (das. 1876), Die preußische Küsten- und Schiffsartillerie (das. 1879); v. Corvisart, Artilleriemasse und Divisionsartillerie (das. 1883). Weiteres bei „Geschütz“.
Artilleriebedeckung (Partikularbedeckung), kleine Detachements der Infanterie oder Kavallerie, welche den Feldbatterien im Gefecht und auf Märschen zum Schutz gegen feindliche Angriffe beigegeben werden, falls sie nicht in unmittelbarer Verbindung mit andern Truppen sich befinden. Zur Deckung einer Batterie wird ein Zug bis eine Kompanie Infanterie, resp. ein Zug bis eine Eskadron Kavallerie gerechnet. In weiterm Sinn können auch größere Truppenkörper lediglich die Aufgabe der Bedeckung stärkerer Artilleriemassen haben.
Artilleriedepot, Behörde zur Verwaltung der Bestände an Waffen und Munition für alle Truppen, soweit sich dieselben nicht in den Händen der letztern selbst befinden, sowie des sonstigen Artilleriematerials. Sie wird gebildet aus einem Artillerieoffizier, in Festungen Artillerieoffizier vom Platz genannt, als Vorstand und einem Zeugoffizier als administrativem Mitglied; auch das Dienstgebäude, in dem diese Behörde ihren Sitz hat. Zu jedem A. (in Österreich Artilleriezeugsdepot) gehört ein Laboratorium (s. d.). Artilleriedepotinspektionen, deren je eine zu Posen, Stettin, Köln, Straßburg i. E. und München besteht, sind die vorgesetzte Behörde der Artilleriedepots.
Artilleriekomitee, s. Artillerieprüfungskommission.
Artillerieoffizier vom Platz, s. Artilleriedepot.
Artilleriepark, jede Vereinigung von Artilleriematerial sowie der Ort, wo sich dieses befindet; gewöhnlich der artilleristische Teil des Belagerungsparks.
Artillerieprüfungskommission, in Deutschland eine aus Stabsoffizieren und Hauptleuten der Artillerie zusammengesetzte Behörde (mit dem Sitz in Berlin), die alle das Artilleriematerial und dessen Verwendung betreffenden Fragen zu begutachten und die erforderlichen Versuche (auf dem Schießplatz bei Kummersdorf, 45 km südlich von Berlin, wohin die Militäreisenbahn führt) anzustellen hat. In Österreich heißt die gleiche Behörde Artilleriekomitee; vgl. Generalartilleriekomitee.
Artillerieschießplätze, s. Schießübungen.
Artillerieschiff, ein Kriegsschiff, welches als Geschütz-, Exerzier- und Schießschule der Flotte dient und den Zweck verfolgt, eine einheitliche, normale Bedienung und Behandlung des Artilleriematerials herzustellen und zu erhalten; außerdem dient das A. zur praktischen Prüfung von neuen Konstruktionen auf dem Gebiet der Schiffsartillerie und bietet in seinem Stab eine kompetente Kommission zur Beurteilung von Neuerungen.
Artillerieschulen, Anstalten zur fachlichen Bildung von Offizieren der Artillerie, häufig mit den Ingenieurschulen verbunden. Lehrgegenstände sind: Mathematik, Chemie, Physik, Artillerie- und Ingenieurwissenschaften, Terrainlehre, Taktik, Kriegsgeschichte, Pferdekenntnis, Zeichnen, Englisch, Französisch, Übungen im Terrainaufnehmen, Besuch der technischen Institute der Artillerie. Deutschland besitzt seit 1816 eine vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin (Charlottenburg), Bayern eine solche in München. Die von den Kriegsschulen entlassenen Portepeefähnriche treten in der Regel auf zwei Jahre in den praktischen Dienst zurück
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 886. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0886.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2024)