verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2 | |
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Bibliothekwissenschaft, im weitern Sinn der systematisch geordnete Inbegriff aller wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Bibliothekwesens. Sie zerfällt in die beiden einander gleichstehenden, koordinierten Teile der Bibliothekenlehre und der Bibliothekenkunde, von denen keiner als untergeordneter Bestandteil zu gelten hat. Die Bibliothekenkunde (Bibliothekographie) beschäftigt sich mit der Geschichte und Beschreibung der einzelnen Bibliotheken älterer und neuerer Zeit (vgl. Bibliothek). Insofern sie dabei statistisch zu Werke geht, wird sie zur Bibliothekstatistik. Die Bibliothekenlehre (Bibliothekonomie, Bibliothektechnik, auch B. im engern Sinn) handelt von der Einrichtung und Verwaltung einer Bibliothek überhaupt.
Die Litteratur der B. hat sich meistens auf die B. im engern Sinn beschränkt oder die Bearbeitung beider Teile getrennt gehalten. Das neueste und umfassendste Werk, welches beide Teile der B. gleichmäßig berücksichtigt, sind Edwards’ „Memoirs of libraries, including a handbook of library economy“ (Lond. 1859, 2 Bde.), neben denen das durch litterarische Angaben ausgezeichnete „Handbuch der B., der Litteratur- und Bücherkunde“ von J. A. F. Schmidt (Weim. 1840) vielfach als veraltet erscheint. Die lediglich bibliothekographischen Schriften sind in dem Artikel „Bibliothek“ zusammengestellt. Eine wissenschaftliche Begründung der B. im engern Sinn unternahm zuerst Schrettinger in seinem „Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der B.“ (Münch. 1808–29, 2 Bde.), dem er später ein „Handbuch der B., besonders zum Gebrauch der Nichtbibliothekare“ (Wien 1834) folgen ließ. Gleichzeitig mit ihm trat F. A. Ebert auf in den beiden gehaltvollen Schriften: „Über öffentliche Bibliotheken“ (Freiberg 1811) und „Die Bildung des Bibliothekars“ (2. Ausg., Leipz. 1820). Hieran reiht sich das hervorragende Buch des Dänen Ch. Molbech, „Om offentlige Bibliotheker“ (2. Abdr., Kopenh. 1829; deutsch von Ratjen, Leipz. 1833). Auf Ebert stützen sich P. Namurs „Manuel du bibliothécaire“ (Brüss. 1834) und P. A. Budiks „Vorbereitungsstudien für den angehenden Bibliothekar“ (Wien 1834) sowie dessen „Vorschule für bibliothekarisches Geschäftsleben“ (Münch. 1848). Die Anordnung der Bibliotheken behandelte speziell in selbständiger und ideenreicher Weise J. Ch. Friedrich („Kritische Erörterungen zum übereinstimmenden Ordnen und Verzeichnen öffentlicher Bibliotheken“, Leipz. 1835). Eine neue wissenschaftliche Begründung versuchte E. Zoller („Die B. im Umriß“, Stuttg. 1846), besonders aber A. A. E. Schleiermacher („Bibliographisches System der gesamten Wissenschaftskunde mit einer Anleitung zum Ordnen von Bibliotheken“, Braunschw. 1852, 2 Tle.). Das beste Lehrbuch für Anfänger ist J. Petzholdts „Katechismus der Bibliothekenlehre“ (Leipz. 1856, 3. Aufl. 1877). Nicht zu empfehlen sind Seizingers „Bibliothekstechnik“ (Leipz. 1855) und „Theorie und Praxis der B.“ (Dresd. 1863). Von den in Deutschland 1840 begonnenen bibliothekwissenschaftlichen Zeitschriften, mit reichen Beiträgen auch zur Bibliothekographie, ist R. Naumanns „Serapeum“ (Leipz. 1840–70, 31. Jahrg.) eingegangen, während Petzholdts „Anzeiger für Litteratur der B.“, unter verschiedenen Titeln fortgesetzt, noch fort erscheint als „Neuer Anzeiger für Bibliographie und B.“ Dazu kam 1884 das „Zentralblatt für Bibliothekswesen“, welches mit Unterstützung des preußischen Kultusministeriums von O. Hartwig und K. Schulz in Leipzig herausgegeben wird. Seit 1876 erscheint in New York und London „The Library Journal“ als offizielles Organ der Vereinigung amerikanischer und englischer Bibliothekare.
Nach der oben gegebenen Definition umfaßt die B. im engern Sinn die Einrichtungslehre und die Verwaltungslehre. Zur Einrichtung einer Bibliothek gehören das Bibliotheklokal, die Aufstellung und Anordnung der Bücher, die Katalogisierung, die Bezeichnung (Signatur) und Numerierung. Was zunächst das Bibliotheklokal betrifft, so kommt das Bibliothekgebäude als solches und die innere Einrichtung desselben, namentlich die Ausstattung mit Repositorien, in Betracht. Für das Bibliothekgebäude schreibt die bibliothekarische Architektonik vor: Trockenheit des Untergrundes, eine von allen Seiten freie (isolierte), womöglich etwas erhabene Lage fern vom Geräusch und Staub der Straßen, jedoch nicht zu entlegen, damit die Benutzbarkeit nicht leide, Möglichkeit künftiger Erweiterung. Die Beschaffenheit des Gebäudes selbst muß derartig sein, daß es gegen Nässe und Feuchtigkeit wie gegen Feuerschaden gesichert ist. Zum Zweck der Feuersicherheit ist auf Dachkonstruktionen von Eisen mit Kupfer- oder Zinkbeleg Bedacht zu nehmen. Gegen Gewitterschäden dienen Blitzableiter und nicht zu große Höhe des Gebäudes. Wegen etwaniger Feuersgefahr ist für Löschgeräte und Wasserhähne im Innern zu sorgen. Zur Erwärmung auch der Bücherräume wendet man neuerdings Zentral-Luftheizung an, wogegen Wasserheizung mit Rücksicht auf die damit verbundene Überschwemmungsgefahr entschieden zu widerraten ist. Ein Hauptaugenmerk ist auf helle und gleichförmige Beleuchtung zu richten. Bei Seitenlicht sind die schädlichen Wirkungen der einfallenden Sonnenstrahlen durch Rollvorhänge oder Schiebegardinen von hellem Zeug abzuwenden, nicht durch matt geschliffene Glasscheiben, welche die volle Klarheit des Lichts beeinträchtigen. Für die Räumlichkeiten im Innern ist Hauptbedingung schnelle und bequeme Kommunikation, Vermeidung zu großer Ausdehnung und Winkelhaftigkeit. Bei größern Baulichkeiten empfiehlt sich die Gruppierung um Höfe, die aber weit genug sein müssen, damit Licht und Luft freien Zutritt erhalten. Die Größe der einzelnen Räume sei nach dem Zweck verschieden. Kleiner seien die mit gewölbten Decken zu versehenden Räume für Handschriften und andre Kostbarkeiten (Cimelien), für Karten und Kupferwerke, für Kataloge und Archivalien, die Geschäfts- und Arbeitszimmer der Beamten, der Raum für die Bücherausgabe. Die Größe des Lesesaals hat sich nach dem Bedürfnis, d. h. der Stärke der Benutzung, zu richten. Zur Aufstellung der gewöhnlichen Büchermassen bringt man in den modernen Bibliothekbauten jetzt allgemein im Interesse möglichster Raumausnutzung das sogen. Magazinierungssystem in Anwendung, welches darin besteht, daß ein einziger, durch alle Stockwerke durchgehender Hauptraum (Büchermagazin) vermittelst durchbrochener eiserner Zwischendecken in Höhe von je 2,40–2,50 m in Halbetagen geteilt und durch Treppen verbunden wird. Man vermeidet dadurch die lästigen und gefährlichen Bücherleitern, da in jeder Halbetage die Bücher vom Fußboden aus mit Hilfe von Auftrittstangen erreicht werden können. Die Bücherrepositorien, mit verstellbaren Querbrettern und Stellstiften, werden in senkrechter Richtung zu den Hauptwänden einander parallel und in Abständen von 1 m unter Freilassung eines Mittelganges placiert und müssen die erforderliche Tiefe besitzen, um in jeder Halbetage in den untern Reihen die Unterbringung der Folianten zu ermöglichen. Der Transport der Bücher aus den obern
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b2_s0892.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2023)