verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4 | |
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welche diese ganz bedecken, der Berg des Purgatoriums erhebt. Am Uferrand empfängt sie Cato von Utica, der Wächter dieses Reichs. Der Läuterungsberg bildet einen steilen Kegel und ist in sieben rund herumlaufende Terrassen geteilt, die von den verschiedenen Abteilungen der Büßenden bewohnt werden und durch schmale Treppen, deren jede von einem Engel bewacht wird, in Verbindung stehen. In umgekehrter Ordnung der Hölle steigen hier Laster und Buße vom Schwerern zum Leichtern auf. Die unterste Terrasse nehmen die Hochmütigen ein, dann folgen nach der Reihe die Neidischen, die Zornigen, die sittlich Säumigen, die Geizigen und Verschwender, die Schwelger und endlich die von Weltlust Erfüllten. Nachdem die Reisenden sämtliche Terrassen durchwandert haben, gelangen sie von der letzten in das über derselben gelegene irdische Paradies. Hier verschwindet Vergil, und Beatrice (das Symbol der kirchlichen Autorität darstellend) übernimmt des Dichters Führung durch das dritte Reich, dessen Einteilung auf den zu Dantes Zeit noch herrschenden Ansichten vom Weltensystem beruht. Hiernach besteht dieses Reich aus zehn übereinander liegenden und als hohle, durchsichtige Kugeln zu denkenden Himmeln, welche die im Mittelpunkt des Universums liegende Erde umgeben, und von deren ersten sieben jeder nach einem bestimmten Gestirn benannt ist, nämlich der Himmel des Mondes, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, des Jupiter und des Saturn. Den achten bildet die Sphäre der Fixsterne, den neunten die des Primum mobile, welches allen übrigen ihre Bewegung verleiht. Jeder dieser Himmel wird von einer besondern Klasse von Seelen bewohnt, welche alle diese verschiedenen Stufen durchlaufen müssen, bevor sie in den zehnten, den unbeweglichen Lichthimmel, das Empyreum, den eigentlichen Sitz der Seligen, gelangen. Nachdem D. an Beatrices Seite auch dieses ganze Reich durchwandert hat, verschwindet auch sie und übergibt ihn dem heil. Bernhard, durch dessen Vermittelung er schließlich des Anblicks des göttlichen Angesichts in einer mystischen Vision teilhaftig wird. Während der ganzen Wanderung durch die drei Welten werden Gespräche mit historisch bekannten, zumeist erst kürzlich verstorbenen Menschen geführt, die bald Abscheu und Entsetzen, bald tiefe Wehmut erregen; tiefsinnige Fragen der Theologie und Philosophie werden gelegentlich erörtert, und die bürgerlichen und sittlichen Verhältnisse Italiens, die entarteten Zustände der Kirche wie des Staats werden mit edlem sittlichen Zorn geschildert, so daß sich die Dichtung zu einem umfassenden, erhabenen und ergreifenden Zeitgemälde gestaltet. Namentlich sind es die beiden ersten Abteilungen des Gedichts, welche durch die Kunst ihrer Organisation, die Mannigfaltigkeit und Plastik ihrer Gestalten und das Interesse ihrer historischen Bezüge den Leser fortwährend fesseln, während sich die letzte Abteilung durch höchste Erhabenheit der Gesinnung und Empfindung auszeichnet. – Was aber die Deutung des Gedichts als eines allegorischen Ganzen wie seiner Allegorien im einzelnen betrifft, so haben sich in den sechs Jahrhunderten seines Bestehens die verschiedensten Geister auf die verschiedenartigste Weise daran versucht. Im allgemeinen herrschte früher die moraltheologische Deutung vor, wie denn auch Schlosser die Grundidee in diesem Sinn auslegt. Nach ihm hätte D. in seinem Gedicht den Weg besungen, auf dem er von der sinnlichen Liebe zur himmlischen, von weltlichen Bestrebungen zum betrachtenden Leben und zur innern Seligkeit gelangt sei, so daß das Gedicht gleichsam die Epopöe der menschlichen Erlösung darstellt. In unserm Jahrhundert, besonders seit Marchettis und Rosettis Auftreten, hat sich dagegen die Auffassung der „Commedia“ als einer Dichtung von wesentlich politischem Charakter Geltung verschafft und ist in Italien gegenwärtig die herrschende geworden. Man betrachtet sie als ein großartiges Strafgedicht, eine an die persönlichen Schicksale des Dichters anknüpfende politische Satire auf die Verworfenheit seines Zeitalters, auf die durch die Päpste in Schmach und Schande gestürzte Menschheit, die nur durch die volle Entfaltung der kaiserlichen Herrschermacht reorganisiert werden könne. So wurden denn z. B. auch die allegorischen „Raubtiere“ der Einleitung zur „Hölle“ als bestimmte historische Gestalten gedeutet: der bunt gefleckte Panther (früher als Sinnenlust bezeichnet) als Florenz mit seinen Parteien der Schwarzen und Weißen, der Löwe (früher Ehrgeiz) als Frankreich, speziell Karl von Valois, die gierige Wölfin (früher Habsucht) als die römische Kurie, speziell Bonifacius VIII. Indessen so sehr die dem Gedicht zu Grunde liegende Allegorie den Kenner und Forscher entzückt, so ist doch mit großer Kunst alles so eingerichtet, daß auch der Leser, der die Allegorie nicht sucht und nicht will, sondern alles bloß als Geschichte und Gemälde, als poetische Darstellung der menschlichen Natur und des menschlichen Lebens betrachtet, gefesselt und von Bewunderung erfüllt wird.
Wann D. sein großes Werk angefangen und wann er die einzelnen Teile vollendet habe, diese Fragen werden verschieden beantwortet. Mit ziemlicher Bestimmtheit ist jedoch anzunehmen, daß er das „Inferno“ nicht vor 1314, das „Purgatorio“ nicht vor 1318 beendigt haben kann, da darin noch Begebenheiten dieser Jahre erwähnt werden; wahrscheinlich ist auch, daß die 13 letzten Gesänge erst acht Monate nach Dantes Tod aufgefunden wurden, was Dionisis Ansicht, die Vollendung des Ganzen falle in das Jahr 1320, nicht widerspricht. Die „Divina Commedia“ wurde bald in unzähligen Abschriften in Italien verbreitet, und noch heute besitzen die Bibliotheken Italiens, Deutschlands, Frankreichs und Englands eine große Zahl derselben, die freilich alle durch Korruptionen entstellt sind und durch Varianten voneinander abweichen. Die Zahl aller Kodices schätzt Cancellieri auf 452.
[Ausgaben.] Die Zahl sämtlicher Ausgaben des berühmten Gedichts wurde 1882 auf 347 angegeben, wovon 15 auf das 15. Jahrh., 30 auf das 16. Jahrh., 3 auf das 17. Jahrh., 31 auf das 18. und 268 auf das 19. Jahrh. entfallen. Von der größten Seltenheit sind die drei ältesten Drucke: der von Foligno (klein Folio, mit dem Titel: „La commedia di D. A. delle pene e punizj de’ vizi e de’ meriti e premj della virtú“, von Jesi (groß Quart) und von Mantua (Folio), alle drei aus dem Jahr 1472 (in einer Prachtausgabe zusammen neu hrsg. von Lord Vernon, Lond. 1858). Nicht viel jünger ist eine (wahrscheinlich 1474) in Neapel erschienene Ausgabe in klein Folio. Von Wichtigkeit sind außerdem die von Vendelin (Vened. 1477), die Nidobeatina (Mail. 1477–78) und die Giuntina (Flor. 1506). Auch die Ausgabe von Florenz 1481, mit dem Kommentar des Landino, ist ziemlich selten und namentlich wegen der vielen darin enthaltenen Kupfer geschätzt. Ein besonderes (aber unverdientes) Ansehen erwarb sich die von Pietro Bembo besorgte, bei Aldus zu Venedig 1502 erschienene Ausgabe, deren Text daher von sämtlichen folgenden des 16. Jahrh. wiederholt
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0534.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2021)