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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

dieser Zeit geltend machte, schloß eine freudige, kräftige, selbst verwegene Weltlichkeit nicht aus, ja durchdrang sich in wundersamster Weise mit derselben; aus heimischem Leben und Fremde, aus Lektüre und Anschauung strömte den Dichtern eine Fülle der Stoffe wie der Empfindungen zu. Die niemals erstorbene und von den wandernden Spielleuten weiter getragene Volksdichtung erwacht gleichzeitig mit der ritterlichen Poesie zu neuem Leben, zieht höher strebende poetische Kräfte zur Neugestaltung ihrer alten großen Stoffe an, und das Mittel der Schrift wird für einzelne ihrer Bildungen in umfassenderer Weise in Anspruch genommen. Die ganze volle Entfaltung all dieses poetischen Lebens fand erst in der folgenden Periode unter den hohenstaufischen Kaisern statt, aber immerhin darf die Zeit von der Mitte des 11. bis gegen das Ende des 12. Jahrh. schon eine litterarisch reiche genannt werden.

Mit dem „Annolied“, zu Ehren des 1075 verstorbenen heil. Anno, Erzbischofs von Köln, gedichtet, mit der poetischen „Kaiserchronik“ (bis 1147 reichend), die ältere Dichtungen in sich aufgenommen hat, mit dem „Lied von Alexander“ des niederrheinischen Pfaffen Lamprecht, dem aus einem französischen Gedicht übersetzten „Rolandslied“ des Pfaffen Konrad, die sämtlich der ersten Hälfte des 12. Jahrh. angehören, betreten wir das große Gebiet der epischen Dichtung, deren Stoffmischung sich schon hier offenbart. Gedichte von „König Rother“, „Orendel“, „St. Oswald“, die Sage von „Pilatus“, die „Legende der heil. Veronika“ von Wernher vom Niederrhein weisen zum Teil auf die weltliche Spielmannsdichtung hin. Wie die alten Stoffe weiter bearbeitet wurden, geht aus „Reinhart Fuchs“ von Heinrich dem Gleißner (Glichesäre), einem Elsässer, der nach französischem Vorbild dichtete, hervor. Vertreter der eigentlichen Kunstlyrik und der Anfänge des nachmals so ausgebreiteten Minnesanges treten gleichfalls in der ersten Hälfte und um die Mitte des 12. Jahrh. auf: so der Österreicher von Kürenberg (zwischen 1120–40?), der sich der Nibelungenstrophe bedient, und dem darum einzelne Forscher die Dichtung des Nibelungenliedes selbst zuschreiben wollen; so sein Landsmann Dietmar von Aiste, der Schwabe Meinloh von Sevelingen, der Burggraf von Regensburg und Friedrich von Hausen, der als Kreuzfahrer 1190 im Heiligen Land blieb. Mit dem letztern begann die Herübernahme der Weisen romanischer Lyrik in die deutsche Dichtung; rasch entfaltete sich eine große Abwechselung der Formen und der Liederarten. Die „Taglieder“, „Klagelieder“, „Leiche“, „Tanzlieder“, „Lob- und Rügelieder“, „Kreuzlieder“ in der weltlichen Lyrik, die „Marienlieder“ in der geistlichen begannen von allen Seiten zu erklingen.

III. Zeitraum.
Die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung. Zeit der Hohenstaufen (Staufer).

Die höchste Blüte der mittelhochdeutschen Dichtung, vom Ende des 12. Jahrh. an, fiel mit der ruhmreichen Herrschaft der Kaiser aus dem staufischen Haus zusammen. Selbstgefühl, Thatkraft und Wohlstand aller Stände des deutschen Volkes waren mächtig gehoben, die gewaltigen Herrschergestalten Friedrichs I. (Rotbart), Heinrichs VI. und Friedrichs II., die fortwirkenden Eindrücke großen Weltverkehrs und siegreicher Kämpfe, gesteigerter und freudiger Lebensgenuß, namentlich an den Höfen und in den Kreisen des ritterlichen Adels, gaben der Periode den Charakter einer Glanzzeit. Die poetische Litteratur in allen Formen der erzählenden Dichtung, der Lyrik und Lehrdichtung, spärlich nur in dramatischen Gebilden, erlangt eine beinahe überwältigende Fülle und erstaunliche Breite. Ihre Hauptrepräsentanten waren jetzt nicht mehr Geistliche, sondern Männer ritterlichen Standes. Nahmen an der Minnedichtung Fürsten und Herren, selbst die staufischen Kaiser und Könige Anteil, so machten doch vorwiegend Glieder des niedern Adels, denen sich vereinzelt bürgerliche Meister anschlossen, die Dichtung zum Lebensberuf und suchten durch unablässiges Anrufen der „Milde“ hochgepriesener Gönner Unterhalt und gelegentlichen Überfluß zu gewinnen. Daß neben diesen ritterlichen Sängern die fahrenden Spielleute nicht verschwanden, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Soweit Namen und Gestalten erkennbar sind, bevorzugten die ritterlich-höfischen Dichter die neuen weltlichen welschen Stoffe, die ihnen meist aus französischen Quellen zuflossen; indes bleibt es Thatsache, daß die endgültigen Gestaltungen der großen, auf rein deutschen Überlieferungen beruhenden Nationalepen, das „Nibelungenlied“ und „Gudrunlied“, in die Blütezeit der ritterlichen Dichtung fallen und in Südostdeutschland der Entfaltung der ritterlichen Epik auf Grund fremder Sagen und Erfindungen zur Seite standen, vielleicht vorangingen.

Auf alle Fälle sind die Volksepen, voran „Der Nibelungen Not“, die großartigsten Denkmäler dieser Blütezeit deutscher Poesie. Das „Nibelungenlied“ vereinigt die hervorragendsten Gestalten des niederrheinischen und burgundischen mit einzelnen des gotischen Sagenkreises; es sucht an erzählender und charakterisierender Kraft, an innerm Reichtum und gewaltiger hochdramatischer Steigerung, namentlich in der zweiten Hälfte, seinesgleichen. Wieviel auch in einzelnen Liedern und Abenteuern vorhanden gewesen sein mag, an der nun niedergeschriebenen Gestaltung, die in den Anfang dieser Periode hinaufreicht, muß eine mächtige dichterische Begabung entscheidenden Anteil gehabt haben. In minderm, aber noch immer hohem Grad begegnen uns die eindringlichen Vorzüge der volkstümlichen Epik im „Gudrunlied“, welches friesisch-normännische Sagen mit dem Hintergrund der See- und Raubzüge und der Kämpfe altgermanischer Seekönige gestaltet und namentlich im unübertrefflich schönen, seelisch tiefen letzten Teil auf einen großen Dichter zurückweist. Ferner im Zeitalter der ritterlichen Dichtung entstandene und wahrscheinlich ritterlichen Sängern angehörige Gestaltungen alter Sagenstoffe waren: „Die Rabenschlacht“ und „Dietrichs Flucht“ (beide von einem Heinrich dem Vogler), „Alphart“, „Walther und Hildegunde“ (von einem steirischen Dichter, nur bruchstückweise erhalten), „Ortnit“, „Wolfdietrich“, „Der große Rosengarten“, „Biterolf“, „Laurin“, „Der kleine Rosengarten“, „Der Nibelungen Klage“, „Das Eckenlied“, „Dietrichs Drachenkämpfe“, „Goldemar“ (von einem Tiroler Ritter, Albrecht von Kemenaten), von denen denn freilich ein Teil nur in spätern Überarbeitungen und Handschriften erhalten blieb.

Die ritterlich-höfische Epik im engern Sinn, mit Trägern, von deren Leben und Schicksalen wir meist einige Nachrichten besitzen, Dichtern, denen mehrere Werke angehören, und die beinahe alle auch in den Reihen der Lyriker (Minnesänger) stehen, hatte einen raschen Aufschwung, eine glänzende Entfaltung und verhältnismäßig raschen Verfall. Ihr erster namhafter Vertreter war Heinrich von Veldeke (zwischen 1175–90), aus dem Limburgischen, ein Edelmann vom Niederrhein, der auch sprachlich insofern Bedeutung hat, als er den Übergang vom „Mitteldeutschen“

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0736.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)
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