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Seite:Meyers b4 s0738.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

Frische vereinbar war, wie „Die Jagd“ des Hadamar von Laber erweist, wird bereits im „Maidenkranz“ des Heinrich von Mügeln (um 1340) immer gespreizter und trockner. „Die Mörin“ und „Der goldene Tempel“ von Hermann von Sachsenheim (nach 1400) sowie „Die Blume der Tugend“ von dem Tiroler Konrad Vintler (1411) leiten zu den völlig didaktischen und in ihrer Lehrhaftigkeit rein ungenießbaren allegorischen Dichtungen hinüber, als deren letzte namhafte noch am Ausgang des 15. Jahrh. der „Teuerdank“ Kaiser Maximilians I. hervortritt. Auch die wenigen ritterlichen Lyriker, die verspätet noch sangen, wie Graf Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein, suchten sich durch didaktische Wendungen und geistliche Mahnungen gleichsam zu rechtfertigen. Sie trafen hierin mit den bürgerlichen Didaktikern und strafenden Satirikern zusammen. Schon Heinrich zur Meise (Frauenlob, gest. 1318) hatte nach dieser Richtung eingelenkt, ebenso Heinrich der Teichner mit seinen Spruchgedichten und Peter Suchenwirt (in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh.); der Dominikaner Ulrich Boner gestaltete seine moralisierende Fabelsammlung: „Edelstein“ (1330–1340) zu einem Lehrgedicht, das wiederum Spätern zum Muster diente. Die umherwandernden Dichter vom Handwerk wandelten sich allmählich in „Meistersänger“ um; sie legten großes Gewicht auf die Forterhaltung der künstlichen Formen der ritterlichen Kunst, deren Geist sie freilich in der völlig veränderten Zeit nicht erhalten konnten. Indem das bürgerliche Element mehr und mehr in den Vordergrund trat, begann sich rasch eine Scheidung zwischen den seßhaften, in den Städten die Kunst neben ihrem Handwerk ausübenden Meistersängern und den Vertretern des Meistergesanges zu vollziehen, welche „auf ihre Kunst ihr Brot suchten“. Die spätern Meistersänger beriefen sich allerdings noch auf umherziehende Meister, wie Bartel Regenbogen, den Schmied (vom Ende des 13. Jahrh.), auf Muskatblüt, den Gegner der Hussiten (erste Hälfte des 15. Jahrh.), auf Michael Behaim (1421–74), Weber, Kriegsmann und Berufsdichter, der, neben geistlichen und weltlichen Meisterliedern in 14 Meistertönen, die chronikalischen Gedichte: „Das Buch von den Wienern“ (Aufruhr der Wiener gegen Friedrich III., 1462) und „Das Leben des Pfalzgrafen Friedrich I. bei Rhein“ (1469) verfaßte. Im allgemeinen aber scheint dem in besondern „Zünften“, namentlich in den oberdeutschen Reichsstädten, gepflegten Meistergesang von vornherein eine Tendenz zum Bürgerlich-Ehrbaren, Ernst-Lehrhaften, ja, wie die Beziehung einzelner Meistersängerzünfte zu Begräbnisbrüderschaften etc. erweist, zum Erbaulichen und Andächtigen innegewohnt zu haben. Freilich vermochten die biedern bürgerlichen Meister weder die Ausschreitungen einzelner Genossen zu hindern, welche um die Wette mit den fahrenden Leuten, mit Geistlichen und Mönchen in derben und unzüchtigen Schwänken, Schmaus- und Trinkliedern den großen Haufen unterhielten, noch wußten sie mit ihren verschnörkelten und erkünstelten Weisen und Tönen den allgemeinen Verfall der eigentlich poetischen Kunst und die wachsende Sprachverwilderung aufzuhalten. Die gemeinsame mittelhochdeutsche Schriftsprache der großen Blütezeit verschwand im 14. und 15. Jahrh. in einer Art sprachlichem Chaos. Mundartliche Besonderheiten drängen sich überall vor; der Sinn für Reinheit der Reime, für den Wechsel von Hebungen und Senkungen im Vers, für Feinheit und Anmut wie für die Würde des Ausdrucks verlor sich völlig. Der Drang zum Neuen und Charakteristischen, der unverkennbar in dieser Verfallzeit sich geltend machte, kam zunächst doch mehr der Prosa als der Poesie zu gute, welche in diesem Zeitraum meist vom Abhub der verrauschten glänzenden Zeit lebte.

Von wirklicher Bedeutung für die Weiterentwickelung der Litteratur wurde die allmähliche Erstarkung der dramatischen Dichtung. Schon im 13. Jahrh. und zu Anfang des 14. Jahrh. waren die geistlichen Spiele, ursprünglich an kirchliche Feste geknüpft und in lateinischer Sprache geschrieben, teilweise vollständig deutsch geworden; in einem und dem andern lassen sich Spuren der höfischen Kunst erkennen, im allgemeinen aber gingen die Dichter und Bearbeiter der Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtsspiele (denen sich verhältnismäßig wenige Legendenspiele nach fremden Mustern hinzugesellten) ihren eignen Weg. Die poetische Individualität hatte hier zunächst wenig Raum; ein Spiel, entlehnt aus dem andern, geht in das andre über; gleichwohl trat eine wachsende Mannigfaltigkeit der frei erfundenen und detaillierten Szenen ein, welche den Spielen einen stets volkstümlichern Charakter gab. Von den Spielen dieser Art sind hier das „St. Gallener Weihnachtsspiel“ und „St. Gallener Osterspiel“, das „Niederhessische Weihnachtsspiel“ und „Kremnitzer Weihnachtsspiel“, das „Wiener Osterspiel“, „Innsbrucker Osterspiel“, das „Redentiner Osterspiel“ (in niederdeutscher Sprache), die ausgedehnten, auf mehrtägige Darstellung berechneten „Passionsspiele“ von Alsfeld, Friedberg, Frankfurt a. M. zu nennen. Unter den Himmelfahrtsspielen bietet das Tiroler besonderes Interesse. Apokrypher waren die Spiele von der „Kindheit Jesu“, „Mariä Himmelfahrt“, das höchst eigentümliche, 1322 zu Eisenach aufgeführte „Spiel von den klugen und thörichten Jungfrauen“, dessen Dichter man auch das Erfurter Spiel „Von der heil. Katharina“ zuschreibt. Unter den Legendenspielen, welche Leben der Heiligen dramatisierten, finden wir das „Spiel vom heil. Georg“, das Kremsmünsterer „Spiel von der heil. Dorothea“, Spiele von „Susanna“, „Vom heil. Meinhard“, „Vom heiligen Kreuz“ (die Legende der Helena, der Mutter Konstantins, behandelnd), fast alle dem 15. Jahrh. angehörig. Den bedeutendsten dramatischen Anlauf nahm im „Spiel von Frau Jutten“ der Mühlhäuser „Meßpfaffe“ Theodorich Schernbeck (1480).

Vom 15. Jahrh. an treten selbständig neben den geistlichen Spielen, in denen es an derben und possenhaften Szenen nicht mangelt, die Fastnachtsspiele hervor, welche in den Städten von Gesellschaften junger Leute, zunächst wohl in Privathäusern, umherziehend gespielt wurden, besondere Bedeutung in Nürnberg gewannen, wo zwei volkstümliche, auch als Dichter erzählender Schwänke und Meistersänger auftretende Poeten, Hans Rosenplüt (zwischen 1440 und 1480) und der Bader Hans Folz, sie weiterbildeten. Der reinere von ihnen war unzweifelhaft Rosenplüt, während der „Barbierer“ Folz durch die üppigsten und zweideutigsten Scherze zu wirken suchte, vor keiner Unflätigkeit zurückschrak, aber viel frisches Leben und größere Gewandtheit im Aufbau und der Durchführung der Spiele entwickelte. Gelegentlich spielen die geistige Bewegung der Vorreformationsperiode (von der Mitte des 15. bis zum Anfang des 16. Jahrh.), die Abneigung gegen das Treiben der entarteten Geistlichkeit, selbst der Anteil am politischen Leben und namentlich die Furcht vor den Türken herein. Zahlreiche Fastnachtsspiele sind ohne Namen der Dichter aufbewahrt, noch zahlreichere jedenfalls verschwunden.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0738.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)
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