verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4 | |
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geistige Vielseitigkeit und Selbständigkeit wie durch seine Beziehungen zu den radikalen Parteien der Reformation wichtige, viel angefochtene Sebastian Franck (um 1500–1545), dessen „Weltbuch“, „Zeitbuch und Geschichtsbibel“, „Chronika des deutschen Landes“ sowie die prächtigen Auslegungen der deutschen „Sprichwörter“ Muster trefflicher Prosa geheißen zu werden verdienen. Lebendiger Auffassung und Darstellung begegnen wir auch in der „Bayrischen Chronik“ des Johann Turnmayr von Abensberg (Aventinus, gest. 1534) und der „Schweizerchronik“ des Ägidius Tschudi. Der Franckschen Sprichwörtersammlung folgte 1566 die des Johann Agricola; den Geschichtswerken schließen sich die charakteristischen Autobiographien des Götz v. Berlichingen, Thomas Platter und des schlesischen Ritters Hans v. Schweinichen an.
Die deutsche Dichtung der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., obschon im allgemeinen noch unter der Herrschaft derselben Einwirkungen und Antriebe stehend wie die der ersten Hälfte, zeigt doch bemerkenswerte Veränderungen. Die erste frische Begeisterung der großen Erhebung war verbraust, die Hoffnung auf eine einheitliche evangelische Nationalkirche und eine gleichzeitige Erneuerung der alten Herrlichkeit des Deutschen Reichs gescheitert; die reformatorische Stimmung war im Streite der alten und neuen Kirche, des Luthertums und des Calvinismus untergegangen, das Reich, obschon noch von keinem äußern Feind angegriffen, trotz Religionsfriedens innerlich zerrütteter als je zuvor. Der wüst werdende theologische Parteikampf und Wortstreit, in den ganz Deutschland wieder und wieder hineingezogen ward, erstickte und zertrümmerte alle nicht theologische Kultur; der Geist des Volkes verwilderte, die zunehmende Grausamkeit des deutschen Lebens machte sich gegen Ende des Jahrhunderts in der härtern, strengern Standesscheidung, den Greueln der Hexenprozesse, der stets barbarischer werdenden Justiz und tausend andern häßlichen Lebenserscheinungen mitten im materiellen Gedeihen geltend. In der Litteratur begann die volkstümliche Darstellung ins Rohe und Platte zu sinken; wo höhere Ansprüche erhoben wurden, drängten sich bereits unerfreuliche Nachahmung ausländischer Vorbilder und die Neigung zur Entfaltung von Gelehrsamkeit in die freischöpferische Thätigkeit herein.
Der hervorragendste deutsche Dichter und Schriftsteller der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. war Johann Fischart (Mentzer, zwischen 1540 und 1589), in den Kämpfen der Zeit auf protestantischer (calvinistischer) Seite viel beteiligt, scharfer Gegner der Jesuiten und der katholischen Gegenreformation, trotz umfassender Gelehrsamkeit eine auf volkstümliche Wirkung gestellte, kraftvolle, humoristische Natur, der in seinen satirischen wie ernsthaften Dichtungen: „Eulenspiegel reimsweis“, „Flöhhatz, Weibertratz“, „Das glückhafte Schiff von Zürich“, in kleinen Prosaschriften, vor allem aber in seiner Bearbeitung des Rabelaisschen „Gargantua“: der „Affentheuerlichen Geschichtsklitterung“, ein vielseitig sprachgewaltiges, mit selbstgeschaffenen Schwierigkeiten virtuos spielendes Talent entfaltete und die Fülle und den überwältigenden Reichtum der deutschen Sprache noch einmal vor einem langwährenden Niedergang vor Augen stellte. Neben ihm traten als poetische Erzähler Wolfhart Spangenberg („Ganskönig“), Georg Rollenhagen („Der Froschmeuseler“) auf; schon Bartholomäus Ringwalt („Christliche Warnung des treuen Eckart“, „Die lautere Wahrheit“) zeigt die wachsende Verdüsterung des Sinnes sowie eine zunehmende Plattheit des Ausdrucks. Erzähler in Prosa waren in diesem Zeitabschnitt Lazarus Sandrub, Eucharius Eyering, Erasmus Widmann u. a. Die dramatische Poesie ward nicht nur durch die Zeitrichtung, sondern durch von außen hereintretende Elemente, namentlich durch die äußerlich effektreichen Stücke der herumziehenden sogen. englischen Komödianten, stark beeinflußt. Die Schauspiele des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig (1564–1613) und die Dramen des nürnbergischen Dichters Jakob Ayrer (gest. 1605), dessen Tragödien, Lustspiele und Singspiele als die bedeutendsten dramatischen Produktionen vom Ende des 16. Jahrh. zu gelten haben, zeigen bei allen Vorzügen keinen reinen poetischen Sinn. Gegenüber der ersichtlichen Verwilderung der Empfindung und der Trivialität der Massenproduktion war es eine unvermeidliche Wendung, daß eine kleine Gruppe von Poeten sich in Nachahmung der gebildeten Dichter des Auslandes, der Italiener und Franzosen, von der volkstümlichen Litteratur schied und, edlere Formen, größere Würde der Poesie erstrebend, eine akademische Richtung begründete, welcher zunächst Ambr. Lobwasser, Paulus Melissus Schede, Peter Denaisius, Phil. von Winnenberg und vor allen Rudolf Weckherlin (1584–1651) folgten.
Die Begründung einer neuen Kunst- oder vielmehr einer spezifischen Gelehrtendichtung, zu welcher die genannten akademischen Poeten im Beginn des 17. Jahrh. den Anlauf genommen hatten, fiel mit der größten Unheilszeit, die Deutschland durchlebte, mit dem greuelvollen, Land und Leute zerrüttenden und herabbringenden Dreißigjährigen Krieg, zusammen. Der Drang nach einer akademischen Poesie ging an sich nicht aus den Ereignissen und Folgen des Kriegs hervor, die deutsche Litteratur ward vom allgemeinen Zug des 17. Jahrh. mit ergriffen. Die Not und Verwüstung des Kriegs, die wachsende Verwilderung und Roheit des Volkes wurden für die Begründer und Fortsetzer der gelehrten Richtung eine Rechtfertigung und ein Sporn zugleich. Es schien eine rühmliche Aufgabe, sich durch eine vom Leben losgelöste Dichtung über den Jammer des umgebenden Daseins zu erheben. Doch drängte sich der Zeitgeist mit seiner blutigen Roheit, wüsten Plattheit und seinem geschmacklosen Prunk trotzdem in die Werke der gelehrten wie der ausklingenden volkstümlichen Dichtung herein. Die Barbarei, welcher das deutsche Leben durch den Krieg verfiel, wirkte in den Seelen der Poeten wie ihres Publikums nach und trat in Dichtungen zu Tage, welche geflissentlich die weitabliegendsten Stoffe in den unvolkstümlichsten Formen behandelten. Die deutsche Sprache verlor die Kraft, den Reichtum und die lebendige Beweglichkeit des 16. Jahrh., sank in Roheit und Schwulst oder erstarrte in Pedantismus; es durfte schon als ein Verdienst der gelehrten Dichtung angesehen werden, daß sie die barbarische Sprachmengerei, die im Gefolge des Kriegs auftrat, aus ihren Schöpfungen meist fern hielt. Die Zeit nach dem Krieg war womöglich noch trauriger als die wilde Kriegsperiode selbst. Die rohe Zuchtlosigkeit eines krieg- und blutgewöhnten Geschlechts, der nur mit hartem Regiment begegnet werden konnte, die schroffe Standessonderung, die Ausländerei der höhern Stände und namentlich ihre gegen den Ausgang des Jahrhunderts wachsende Abhängigkeit von Frankreich, der verhängnisvolle Einfluß des Hofs Ludwigs XIV., die gedrückte Servilität des einst so kräftigen und mächtigen, jetzt verarmten und herabgekommenen Bürgertums, die
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0741.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)