verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4 | |
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der Opitzschen Form einen wirklichen Empfindungsgehalt zu geben hatten, treten eine kleine Zahl von Schriftstellern zur Seite, welche die Fähigkeit bewahrten, Leben und Menschen mit voller Deutlichkeit zu sehen und zu schildern. Daß es zumeist unerfreuliches und unschönes Leben war, was sie wiederzugeben hatten, lag in der Zeit; daß auch sie unter den Einwirkungen des Auslandes, namentlich der spanischen Schelmenromane und Erzählungen, standen, gehört einmal zur Signatur der ganzen Litteraturperiode. J. M. Moscherosch (1601–69) mit den „Wunderlichen und wahrhaftigen Gesichten Philanders von Sittewald“; Johann Balthasar Schupp (1610–61) mit zahlreichen satirischen Schriften halb darstellender, halb didaktischer Natur, ferner Christoph v. Grimmelshausen (gest. 1675), welcher im Roman „Der abenteuerliche Simplicissimus“ und einer Reihe Simplicianischer Schriften die Wirkungen des großen Kriegs auf das deutsche Volk mit innerstem Anteil und genialer Schilderungskraft am besten darstellte, im weitern Sinn der niederdeutsche Satiriker Joh. Lauremberg (gest. 1659) und am Ausgang des Zeitraums der burleske volkstümliche Moralist Abraham a Santa Clara (Ulrich Megerle, gest. 1709) gehören zu dieser Gruppe. Im ganzen aber ging die Umbildung der deutschen Dichtung zu einer reinen Gelehrtenpoesie, welche bei der Ausländerei der obern Stände und der tiefen Gedrücktheit und geistigen Armseligkeit des nichtgelehrten Bürgertums kein andres Publikum hatte als wiederum die Gelehrten, unaufhaltsam ihren Weg. Einige Jahrzehnte nach dem Frieden erlosch die Widerstandskraft der volkstümlichen Richtung. In der zweiten schlesischen Dichterschule verband sich jetzt eine höfisch und vornehm sein wollende Galanterie, eine gewisse Üppigkeit der Phantasie mit der brutalen und plumpen Unsitte, welche das deutsche Leben beherrschte, mit der rohen Grausamkeit, die in den Gemütern lebte, in wunderlichster und widerwärtigster Weise. Dabei suchte sich ein unausrottbarer philiströser und nüchterner Sinn mit der Versicherung zu beruhigen, daß diese Dichtung weder äußeres noch inneres Leben spiegele, daß ein andres gemeint, ein andres gedichtet werde. Die gefeierten Talente dieser Zeit: der lüsterne Lyriker Chr. Hoffmann von Hoffmannswaldau (1618–79), der umsonst Marinis weiche Sinnlichkeit und schmeichelnden Wohllaut der Sprache nach Deutschland zu verpflanzen suchte, aber Marinischen Schwulst in Ansehen setzte; der „große“ Dichter des neuesten Stils, Dan. Kaspar v. Lohenstein (1635–1683), welcher mit seinen von Schmutz und Schwulst starrenden rhetorischen Tragödien („Ibrahim Bassa“, „Agrippina“, „Ibrahim Sultan“), mit seinem von wüster und prahlerischer Vielwisserei und geschmacklos-hochtrabender Rhetorik aufgebauschten Roman „Großmütiger Feldherr Arminius nebst seiner durchlauchtigsten Thusnelda“ (Staats-, Liebes- und Heldengeschichte) nacheifernden Talenten die Wege zur Erhabenheit wies; ferner die Romandichter Andreas Heinr. Buchholtz (gest. 1671 als Superintendent zu Braunschweig) mit seiner „Wundergeschichte des christlichen deutschen Großfürsten Herkules und der böhmischen königlichen Fräulein Valisca“; Herzog Anton Ulrich von Braunschweig (gest. 1714) mit „Aramena“ und „Octavia“; Hans Anselm v. Ziegler und Klipphausen (gest. 1697) mit dem gelesensten Buch der Zeit: „Asiatische Banise“, welche alle diese Wege wandelten, trieben die d. L. immer tiefer in Barbarei hinein. Die Dichtung ward mehr und mehr zu einem Mittel, äußeres Ansehen zu erwerben; das Übergewicht des schmeichlerischen und bombastischen Gelegenheitsgedichts ward offen anerkannt. Die „Hofpoeten“ R. L. v. Canitz, J. V. Pietsch, Johann v. Besser, Johann Ulrich König u. a. setzten die Lohensteinsche Richtung ebenso ins 18. Jahrh. hinein fort wie die Poeten der Hamburger „Oper“, welche, seit 1678 eröffnet, ein paar Jahrzehnte lang in Chr. Richter, Postel, Feind, Hunold u. a. fleißige Verfasser musikalischer Dramen mit schwülstiger Diktion besaß. Die schlesischen Lyriker Chr. Gryphius (Sohn des Andreas), Benjamin Schmolcke (der den Lohensteinianismus ins Erbauliche übersetzte), H. Aßmann Freiherr v. Abschatz, H. Mühlpfort, die Romanschreiber G. Ch. Lehms, Joachim Meier, Werner Eberhard Happel (der im „Asiatischen Onogambo“ und „Insularischen Mandorell“ Plattheit, Schwulst und die gespreizte Vielwisserei der Zeit wie kein andrer vereinigte), Aug. Bohse (Talander), Rost u. a. verstärkten lediglich das Bild allgemeiner Geschmacklosigkeit und Abwesenheit jeglichen Ideals. Als ein Fortschritt mußte es schon gelten, daß unter dem Einfluß der allmählich wachsenden Aufklärung und einer von vornherein nur allzu bewußten Verstandeskultur eine gegen den Schwulst der Lohensteinianer gerichtete, durch und durch nüchterne, platte Dichtung aufkam, die rasch genug in überschwemmende, wässerige Reimerei ausartete. Die Anfänge zu derselben finden sich bei Dan. Georg Morhof (1639–91) und dessen Schüler, dem Epigrammatisten Chr. Warnecke, der die Hamburger Opernpoeten verhöhnte; Hauptrepräsentant war der Zittauer Schulrektor Christian Weise 1642–1708), der in „Überflüssigen Gedanken der grünenden Jugend“, in sogen. „politischen“ Romanen („Die drei ärgsten Erznarren“, „Die drei klügsten Leute der ganzen Welt“), in zahlreichen als „Zittauer Schulkomödien“ aufgeführten Trauerspielen, Lustspielen und Schwänken trivial-gesunde Lebensanschauung, verständige moralische Tendenzen, äußerliche Fähigkeit der Charakteristik und Sprachbeherrschung an den Tag legte und vom Muster der Italiener auf das der neuern Franzosen hinwies. In seiner Richtung dichteten und schrieben Erdmann Neumeister, Joachim Burkard, Menke (Philander von der Linde), Daniel Stoppe, D. W. Triller, die zum Teil schon in eine andre Litteraturperiode hinüberreichen.
Eine wirkliche Besserung erfolgte zuerst im Eingang des 18. Jahrh., wo eine Reihe individueller Talente, durch Naturell und Lebenseindrücke begünstigt, in der Nachahmung ausländischer Muster feinfühliger, der deutschen Dichtung zuerst wieder einen Inhalt, phantasievolle Erfindung, Leidenschaft und Wärme der Stimmung, eine gewisse Wahrheit der Schilderungen gaben und in sinniger Betrachtung oder munter-geselligem Ton sich vom Schwulst wie von der Plattheit entfernt zu halten trachteten. Hierher gehören Berthold Heinr. Brockes (1680–1747) mit dem breit ausgesponnenen, aber im einzelnen feinsinnigen und liebenswürdigen „Irdischen Vergnügen in Gott“; Christian Günther (1695–1723), der durch die Unmittelbarkeit und frische Sinnlichkeit seiner persönlichen Empfindung zur wirklichen Lyrik durchdrang und selbst das wild wuchernde Gelegenheitsgedicht der in seinen Tagen noch grünenden „poetischen Wälder“ in lebendige Poesie umwandelte, wenn auch sein Geschmack in Bildern und seine Diktion noch vielfach an die zweite schlesische Schule erinnern; hierher Albrecht v. Haller aus Bern (1708–1777), der gleichfalls noch von den schlesischen Marinisten beeinflußt war, aber sich durch aus lebendiger Anschauung und Freude an der Wirklichkeit stammende
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0743.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)