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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

alle Schichten des Volkes drangen und die Muster für die lyrische und lyrisch-epische Poesie der „schwäbischen Dichterschule“ abgaben. Zu der Gruppe mehr oder minder verdienstlicher württembergischer Poeten gehörten der mystisch-originelle Justinus Kerner (gest. 1862), ferner Gustav Schwab (gest. 1850), W. Waiblinger (gest. 1830), Karl Mayer (gest. 1870), Albert Knapp (gest. 1864), Eduard Mörike (gest. 1875, „Gedichte“, der Roman „Maler Nolten“), der frische und liebenswürdige Erzähler Wilhelm Hauff (gest. 1827, „Lichtenstein“, „Märchen“, „Phantasien im Bremer Ratskeller“). Eine minder erfreuliche Gruppe von dramatischen Dichtern, die „Schicksalstragöden“, folgte den Spuren Zacharias Werners, so A. Müllner (gest. 1829, „Die Schuld“, „König Yngurd“, „Die Albaneserin“), Ernst v. Houwald (gest. 1845, „Das Bild“, „Der Leuchtturm“) u. a.

Übrigens gelang es den Romantikern nicht, die d. L. dauernd oder ausschließlich zu beherrschen. Schon von den Dichtern der Befreiungskriege 1813–15 gehörte trotz der unzweifelhaft vaterländischen Gesinnung aller Romantiker und ihrer Verdienste um die Stärkung des vaterländischen Gefühls in der Zeit der Fremdherrschaft im Grund nur Max v. Schenkendorf (1783–1817) der eigentlichen Romantik an. Von den wirksamern Sängern der großen Erhebung stammte E. M. Arndt (1769–1860) aus einer ältern Poetengeneration; Theodor Körner (1791–1813), dessen „Leier und Schwert“ der poetische Ausdruck des Idealismus der Erhebung wurde, war in diesen Dichtungen wie in seinen Dramen („Zriny“, „Rosamunde“) ein Schüler Schillers. Auch in der Dichtung der Restaurationsepoche, so sehr dieselbe gewisse Richtungen und Tendenzen der Romantik begünstigte, machten sich die Nachwirkungen der klassischen Epoche und ihrer Humanitätsideale wieder entschiedener und stärker geltend. Zahlreiche Talente nahmen zwar die lebensvollen und vollberechtigten Elemente, welche die Romantik der deutschen Litteratur gebracht, mit in sich auf; aber ihr eigentlicher Lebensgehalt und ihre Kunstrichtung wurden nicht von der romantischen Doktrin bestimmt. Franz Grillparzer (1791–1872), der mit dem Trauerspiel „Die Ahnfrau“ als Schicksalstragöde begann, erhob sich in seinen spätern dramatischen Dichtungen („Sappho“, „Medea“, „König Ottokar“, „Des Meeres und der Liebe Wellen“, „Kaiser Rudolf II.“) in reinere und freiere Regionen. Friedrich Rückert (1789–1866), in seiner gesunden Klarheit eine Goethe verwandte Lyrikernatur, bewährte sich in überzahlreichen lyrischen („Geharnischte Sonette“, „Liebesfrühling“, „Ghaselen“ etc.) u. didaktischen Dichtungen („Weisheit des Brahmanen“) und Nachdichtungen orientalischer Muster als ein Sprachvirtuose ersten Ranges. Als Lyriker und Balladendichter zeichneten sich Wilhelm Müller (1794–1827, „Griechenlieder“), J. Chr. v. Zedlitz (1790–1862, „Totenkränze“, „Waldfräulein“, auch Dramen), Egon Ebert (1801–83), H. Stieglitz (1803–49), als didaktischer Poet und Novellist Leopold Schefer (1784–1862, „Laienbrevier“) aus. Den Bedürfnissen des großen Publikums näher standen die Dramatiker einer gewissen eklektisch-rhetorischen Richtung, der überfruchtbare Ernst Raupach (gest. 1852, Hohenstaufendramen), die deklamatorischen Tragöden E. v. Schenk (gest. 1841, „Belisar“, „Albrecht Dürer“), Michael Beer (gest. 1833, „Paria“, „Struensee“), Joseph v. Auffenberg (gest. 1857), ferner Fr. v. Üchtritz (gest. 1875), Ludw. Deinhardstein (gest. 1859, Künstlerdramen), Ferd. Raimund (gest. 1836, Zauberspiele: „Der Verschwender“ etc.). Novellistik und Romanlitteratur begannen in der leseseligen, stillen Friedenszeit zwischen 1815 und 1830 schon gewaltig ins Kraut zu schießen. Die federfertige Belletristik trug bereits so viele Siege über die anspruchsvollere und innerlich gehaltvollere Dichtung davon, daß ein hervorragendes Dichtertalent wie August Graf von Platen (1796–1835) am Ausgang dieser Zeit in der strengen Betonung einer gewissen Kunstwürde und in der Forderung formeller, sprachlicher Vollendung berechtigtes Pathos entwickeln und mit seinen formschönen Gedichten und Märchen („Die Abbassiden“, Märchenepos; „Die verhängnisvolle Gabel“ und „Der romantische Ödipus“, dramatische Satiren) der neuern Litteratur einen Pfad zeigen konnte. Von der Romantik zur modernen Poesie rang sich gleichfalls das kraftvolle, aber spröde und schwerflüssige Talent Karl Immermanns (1796 bis 1840) hindurch, dessen beste Dichtungen („Tulifäntchen“, „Alexis“, „Merlin“, die Romane: „Die Epigonen“ und „Münchhausen“) für die positive Entwickelung der deutschen Poesie wichtig wurden. Als letzten Romantiker und ganz moderne Natur feierte sich selbst Heinrich Heine (1799–1857), dessen träumerische, weich lyrische Anlage seltsam mit einem ätzend satirischen und spöttisch-frivolen Grundzug seines Wesen kontrastierte, so daß sich bei ihm der Bruch mit der Romantik in der Form ironischer und höhnischer Negation beinahe aller idealen Regungen vollzog. Heines satirische Geißel traf darum fast gleichmäßig Edelsinn wie Gemeinheit, ernste wie leere und verächtliche Bestrebungen. Die unvergänglichen Lieder und Romanzen des Dichters wirkten minder nachhaltig als seine journalistische Thätigkeit, deren verhängnisvolle Konsequenzen sich in der jungdeutschen Periode wie bis auf die Gegenwart geltend machen sollten.

Während der Zeit der Romantik und der Übergänge zur modernen Dichtung war auch die Zahl der hervorragenden Prosaiker nicht klein. Unter vielen, von denen ein und das andre Werk der Nationallitteratur bleibend angehört, sind hier in erster Linie die unvergleichlichen Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm zu nennen, die neben, ja in und mit ihren spezifisch gelehrten Leistungen dem deutschen Volk die volle Poesie seiner Sagen und seiner Märchen („Kinder- und Hausmärchen“, „Deutsche Sagen“) zum Bewußtsein zu bringen wußten. In der Geschichtschreibung zeichneten sich Fr. v. Raumer („Geschichte der Hohenstaufen“), Heinrich Leo durch Stilvollendung aus; als der eigentliche Meister erschien Leopold v. Ranke (geb. 1795), der feinsinnigste, bedeutendste und nach reinster Vollendung der Form strebende Historiker zweier Menschenalter. Auch Jak. Ph. Fallmerayer, der orientalische Fragmentist (gest. 1860), Karl Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Geographie (gest. 1859), und der vielseitig gebildete biographische und Memoirenschriftsteller K. A. Varnhagen von Ense (gest. 1858) sind hier anzureihen.

X. Zeitraum.
Die jungdeutsche und politische Gärungsperiode.

Die völlige Zersetzung der Romantik und die inzwischen eingetretene Umbildung aller Lebensverhältnisse, dazu die Reihe der politischen Umwälzungen und liberalen Bestrebungen, welche mit der französischen Julirevolution von 1830 begannen, riefen eine neue Gärungsperiode in der deutschen Litteratur hervor, welche man gewöhnlich unter dem Namen der „jungdeutschen Bewegung“ bezeichnet, die aber tiefere

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0753.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)
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