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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

Gründe und unendlich weitere Resultate hatte als die momentan bedeutsame Stellung, welche den Schriftstellern des sogen. jungen Deutschland zufiel. Auch in diesem Zeitraum übte die Philosophie auf die poetische Litteratur einen weitgehenden Einfluß. Die Philosophie G. F. W. Hegels (1770–1831) verdrängte die Schellingsche und erlangte eine Alleinherrschaft für ihren absoluten Idealismus, deren Bedeutung in tausend Verzweigungen in den litterarischen Schulen wie in zahlreichen poetischen Individuen erkennbar bleibt. Der allein stehende pessimistische Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) bekämpfte umsonst die Hegelsche Geisteswissenschaft und gewann volle Wirkung erst auf die nachfolgende, nach 1848 auftretende Generation. Eine Radikalphilosophie eigenster Art begründete Ludwig Feuerbach (gest. 1872); auf die ganze litterarische Entwickelung wirkten die theologisch-kritischen Forschungen des Verfassers des „Lebens Jesu“, F. Strauß (gest. 1874), entscheidend ein, der später zu litterarhistorischen und biographischen Darstellungen überging, die den Stempel der Meisterschaft tragen („Ulrich v. Hutten“, „Voltaire“). Dazu aber gesellte sich der gänzlich neue Genuß der Besprechung der öffentlichen Zustände und ein schrankenloser Radikalismus des Subjekts, welcher die Verirrungen der Romantik noch überbot, eine Zeitlang geneigt war, die poetische Darstellung des Lebens in seiner Totalität für einen überwundenen Standpunkt zu erklären und von der ästhetisch im Grund höchst unbedeutenden fragmentarischen Belletristik und der philosophisch-politisch-belletristischen Diskussion auch der untergeordnetsten Tagesfragen das Heil der Nation und mindestens ein neues großes Zeitalter der Litteratur zu erwarten. So wurden momentan alle höhern Kräfte gering geachtet, der „Esprit“ überschätzt, bis die hervorragendsten Führer der Bewegung selbst die Unfruchtbarkeit dieser Bestrebungen erkannten und mit mehr oder minder Glück zur „veralteten“ Menschendarstellung zurückkehrten. Die Genossen des vom Bundestag so getauften „jungen Deutschland“ waren neben Heinrich Heine und dem scharf zersetzenden jüdischen Denker Ludwig Börne (1784–1834), der alles geistige Leben, also auch die ästhetische Kritik und die ethische Schätzung menschlicher Dinge, in den Dienst der politischen Tendenz stellte, die Belletristen L. Wienbarg (1802–1872), Gustav Kühne (geb. 1806), der erfolgreiche Dramatiker und Erzähler Heinrich Laube (1806–1884), Theodor Mundt (1807–61) und Karl Gutzkow (1811–78), letzterer entschieden der bedeutendste Repräsentant der Bewegung wie ihrer nachmals angestrebten Klärung. Von seinen publizistischen und kritischen Anfängen seit 1830 an behauptete sich Gutzkow beständig an der Spitze der geistigen Bewegung in Deutschland und errang in fast allen Gebieten der Litteratur (mit Ausnahme der Lyrik) bedeutende Erfolge. In bühnengerechten, pointenreichen, jederzeit in die Bewegung des Augenblicks einschlagenden Dramen („Savage“, „Werner“, „Pugatschew“, vor allem in den historischen Musterlustspielen: „Zopf und Schwert“ und „Das Urbild des Tartüff“ und der Tragödie „Uriel Acosta“) eroberte er der Zeittendenz das Theater. Seit der Revolution von 1848 warf er sich vorzugsweise auf den Roman und gab in mehreren umfangreichen Werken dieser Gattung („Ritter vom Geist“, „Der Zauberer von Rom“, „Hohenschwangau“ etc.) den Beleg für den ungemein scharfen geistigen Instinkt und die Kraft, mit welcher er die verschiedensten Kundgebungen und Wandlungen des nationalen Lebens zu erfassen verstand. Die jungdeutsche Tendenz radikaler oder wenigstens entschieden liberaler Reformbestrebungen beschränkte sich aber keineswegs auf das junge Deutschland; aus ihr ging auch die politische Lyrik hervor, ihr verwandt waren zahlreiche andre litterarische Bestrebungen der 30er und 40er Jahre. Vertreter der politischen und jener deskriptiven Lyrik, welche, wo nicht völlige Neuheit der Töne zu erreichen war, wenigstens Neuheit des Kolorits erstrebte, waren H. Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), der seine Muse am Volkslied nährte und bildete; Karl Beck (1817–79); Georg Herwegh (1817–75), einer der schwungreichsten dichterischen Rhetoriker; Ferd. Freiligrath (1810–76), welcher neue Stoffe aus entlegenen Regionen in intensivster Farbenglut und Energie vorführte und seine realistische Lebendigkeit auch in der überreizten Grundstimmung seiner revolutionären Gedichte festhielt; der formgewandte und ironische Franz Dingelstedt (1814–81); ferner Robert Prutz (1816–72), Anastasius Grün (Graf Auersperg, 1806–76), Friedrich v. Sallet (1812–43, „Laienevangelium“), M. Graf Strachwitz (1822–1847), Alfred Meißner (1822–85, „Gedichte“, „Ziska“), Moritz Hartmann („Kelch und Schwert“) u. a. Als kritisches Zentralorgan der liberalen Opposition und der Tendenzlitteratur wirkten bedeutsam die von Ruge und Echtermeyer herausgegebenen „Halleschen (nachher „Deutschen“) Jahrbücher“ (1838 bis 1842). Den jungdeutschen Bestrebungen verwandt war die neue dramatische Sturm- und Drangschule: Buchdramatiker, welche Originalität um jeden Preis erstrebten. Zu ihnen gehörten Chr. D. Grabbe (1801 bis 1836, der Dichter der Dramen: „Die Hundert Tage“, „Barbarossa“, „Heinrich VI.“, „Don Juan und Faust“, „Hannibal“), ein gemütarmes, formloses, aber bizarr-charakteristisches Talent; ferner Georg Büchner (1813–37), dessen wildgeniale dramatische Skizze „Dantons Tod“ bleibendes Zeugnis für die Eigenart jener Gärungsperiode ist; Alex. Fischer, F. Marlow u. a. Eine zweite Reihe von Talenten rangen und strebten im Widerspruch ihrer naiven Begabung und der Zeitforderungen, so Nikolaus Lenau (1802–50), als Lyriker durch die innige Tiefe eines weichen, aber zu düsterer Schwermut neigenden Empfindungslebens ausgezeichnet, in den episch-lyrischen Dichtungen: „Faust“, „Savonarola“, „Die Albigenser“ von den Ideen des philosophischen und politischen Radikalismus ergriffen; Emanuel Geibel (1815–84), durch die Anmut seiner formschönen Lyrik der Liebling der Frauenwelt geworden, in seinen spätern Dichtungen auch von tieferm Gehalt; Julius Mosen (1803–67), ein volkstümlicher Lyriker, in den Dichtungen: „Ritter Wahn“, „Ahasver“ auf dem Boden der philosophischen Poesie stehend, in seinen Dramen meist tendenziöser Rhetoriker. Unter den Dichterinnen ragte durch fast männliche Kraft und Lebensfülle Annette v. Droste (1798–1848) über alle übrigen weit hervor; neben ihr seien noch die formensichere Luise v. Plönnies (gest. 1872) und Betty Paoli (Elisab. Glück) erwähnt. Die rein naiven Begabungen wurden meist zur Seite gedrängt; Auszeichnung erwarben: Karl Simrock (1802–76), der poetische Erneuerer des Amelungenliedes und Übertrager der großen Werke mittelalterlicher deutscher Dichtung; ferner A. Kopisch, Franz v. Gaudy, W. Smets, Gustav Pfarrius, J. N. Vogl, I. Castelli, J. G. Seidl, A. Frankl, K. Dräxler-Manfred, L. Bechstein, der auch auf epischem Gebiet („Haimonskinder“, „Totentanz“) thätig war; E. Duller, Fr. Daumer, W. Wackernagel, F. v. Kobell, A.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0754.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)
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