verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4 | |
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Identitätsphilosophie und zuletzt, angeregt von Jakob Böhme und den theosophischen Mystikern, zu einer von ihm so genannten „positiven“ oder „Offenbarungsphilosophie“ fort- und umbildete, steigerte Georg Wilh. Friedrich Hegel (1770–1831) Fichtes ursprünglich subjektiven zum „absoluten“ Idealismus, indem er an die Stelle des allein realen und thätigen Ichs die unpersönliche Vernunft („die logische Idee“) und an die Stelle der schöpferischen That den dialektischen Prozeß („Selbstbewegung des Denkens“) setzte und die Vernunft zum allein wahren Wesen alles Wirklichen (Panlogismus), aber damit auch das Wirkliche zum Vernünftigen (Optimismus) erhob. Wie Kants unerbittliche Schärfe in die Tiefe, so hat Hegels universale, wenigstens dem Anschein nach willkürfreie Methode in die Breite der Forschung gewirkt und, wie einst die mathematische Methode Wolfs, zur Anwendung in fast allen Wissenschaften geführt, zugleich durch die Verkündigung der Vernunft als des Wesens des Wirklichen dem Rationalismus auf allen Gebieten Vorschub geleistet. Den Gegensatz zu dieser von Fichte bis Hegel in gerader Richtung fortschreitenden idealistischen Richtung bildet die gleichfalls an Kant anknüpfende, aber, wie Fichte einen halben Schritt vor, so einen halben hinter den Kritizismus zurücktretende realistische Richtung Herbarts (1776–1841). Während nach jenem die Philosophie ein Schaffen der Kant zufolge aus einem realistischen (Materie) und einem idealistischen (Form) Faktor bestehenden Erfahrung ist, stellt sie nach Herbart ein Empfangen derselben hinsichtlich der Form wie der Materie dar. Die Empirie bildet die Grundlage, durch deren Bearbeitung, Berichtigung und Ergänzung mittels der Denkgesetze eine in sich zusammenhängende, auch logisch befriedigende Wissenschaft entsteht. Durch dieses Ausgehen von dem erfahrungsmäßig Gegebenen und durch ihre exakte Methode, insbesondere durch ihre Anwendung der Mathematik auf die Psychologie hat Herbarts Philosophie namentlich auf die Naturforscher anziehend gewirkt, die sich durch die phantastischen Kombinationen der Schellingschen Naturphilosophie ebenso abgestoßen fühlten, wie sich die nüchternen Historiker der apriorischen Geschichtskonstruktion Hegels widersetzten. Außer den Vorgenannten haben unter den Nachfolgern Kants nur Fr. H. Jacobi (1743–1819) und A. Schopenhauer (1788–1860), letzterer erst in seinen letzten Lebensjahren, durchgreifenden Einfluß in weitern Kreisen der Leserwelt, beide zumeist durch ihre glänzende Begabung als Schriftsteller, geübt. Beide stimmen darin überein, daß sie den Intellekt zu gunsten einer andern psychischen Kraft, der eine des Gemüts, der andre des Willens, zurücksetzen. Jener erklärte das Gefühl für das Organ, dieser den Willen für das „Ding an sich“ der übersinnlichen Welt. Ersterm (Jacobi) haben sein Theismus und seine Gefühlsgläubigkeit unter den „schönen Seelen“, diesem sein Pessimismus und offen bekannter Unglaube unter den „starken Geistern“ zahlreiche Anhänger zugeführt. Von den Schülern der Vorgenannten haben einige zum Teil mehr oder weniger abweichende Richtungen eingeschlagen und selbst einen Kreis von Jüngern um sich versammelt. Strenge Kantianer waren Schultz (gest. 1805), Jakob (gest. 1827), Erh. Schmid (gest. 1812) u. a., während W. T. Krug (1770–1842) als äußerst fruchtbarer Schriftsteller sich um die Popularisierung der Kantschen Philosophie Verdienste erwarb und J. Fr. Fries (1773–1843) durch Verschmelzung mit der Jacobischen Glaubensphilosophie eine eigne Schule stiftete, welcher Apelt, Schleiden, Mirbt, v. Calker, De Wette u. a. angehörten. An Jacobi schlossen sich an: Köppen, Salat, Lichtenfels u. a. Fichtes Richtung verfolgten: Forberg, Niethammer, Schad, Mehmel; auch Fr. Schlegel (gest. 1829) und der Theolog Schleiermacher (gest. 1834), der später eine eigne Schule gründete, wurden durch ihn angeregt. Schellings Natur- und Identitätsphilosophie fand in H. Steffens, L. Oken, J. Görres, Fr. v. Baader, I. P. Troxler, K. J. Windischmann, G. H. Schubert, K. W. F. Solger, W. Nasse u. a. eifrige Bekenner, welche dieselbe auf die besondern, namentlich die Naturwissenschaften mit mehr oder weniger Glück anwandten. Schellings späterer sogen. positiver oder Offenbarungsphilosophie neigten sich zu: Beckers, Schaden, Schenach u. a. Sein anfänglicher Schüler Krause (gest. 1832) setzte dem Pantheismus der Naturphilosophie einen von ihm so genannten Panentheismus entgegen, der in Ahrens, Lindemann, Leonhardi u. a. Anhänger fand und durch den Erstgenannten auch nach Frankreich, Belgien und Spanien verpflanzt wurde. Als Verbreiter der Herbartschen Lehre sind besonders aufgetreten: Hartenstein, Drobisch, Exner, Bobrik, Strümpell, Taute, Th. Waitz, Lott, Wittstein, Schilling, Allihn, Thilo, Cornelius, Nahlowsky, Volkmann, R. Zimmermann. Die zahlreichste Litteratur hat die Hegelsche Schule aufzuweisen, deren Einfluß dank dem Formalismus ihrer Methode sich auf den Gebieten fast aller besondern Wissenschaften zeigt, wobei die Gegensätze der rechten (theistischen) und linken (pantheistischen), ja äußersten linken (atheistischen) Seite derselben scharf auseinander traten. Erstere führte bald zur Gründung einer besondern Theistenschule, der I. H. Fichte, Weiße, Ulrici, Wirth, Carriere, Reinhold der jüngere, Braniß u. a. angehörten; die letztgenannte, der sogen. „Junghegelianismus“, schlug zuletzt in völligen Materialismus um. Innerhalb des durch Hegel mehr oder weniger beherrschten Gedankenbereichs wurde die Logik durch Gabler, Hinrichs, Schaller, Werder, Erdmann, Kuno Fischer, Biedermann, die Naturphilosophie durch Schaller, Bayrhoffer, Menzzer, Schultz-Schultzenstein, Ernst Kapp, die Psychologie durch Rosenkranz, Michelet, Daub, Erdmann, die Rechtsphilosophie durch Gans, Göschel, Hinrichs, Besser, Bitzer, Oppenheim, Friedländer, Köstlin, Hasner, die Philosophie der Geschichte durch Chr. Kapp, Rosenkranz, Löser, Gladisch, Hermann, Wuttke, die Ästhetik durch Hotho, Rötscher, Carriere, Weisse, Vischer, Köstlin, Zeising, die Theologie durch Daub, Marheineke, Vatke, Rosenkranz, Conradi, D. Strauß, Br. Bauer, F. Chr. Baur, E. Zeller, K. Schwarz, die Moral und Ethik durch Daub, Henning, Michelet, Wirth, Vatke u. a. bearbeitet. Das besondere Verdienst, die Prinzipien der Hegelschen Schule kritisch auf die evangelische Geschichte und die christliche Dogmatik angewandt zu haben, erwarb sich David Strauß (1808–74), dessen philosophische Grundideen bis zur äußersten Konsequenz Ludwig Feuerbach (1804–1872) verfolgte. Den von letzterm angedeuteten Hauptgedanken des Humanismus entwickelte Arnold Ruge (gest. 1880) weiter, die humane Religion als die „Religion unsrer Zeit“ verkündend. In ihren Ausläufern Bruno und Edgar Bauer, Jellinek, Julius u. a. verirrte sich die Methode Hegels zum karikierenden Extrem und brachte Monstrositäten, wie die von Max Stirner gelieferte Apotheose des Egoismus, hervor, die schließlich zur Auflösung der Schule führten. Den dadurch (seit 1848) in der Litteratur frei gewordenen Raum haben teils ältere, bisher durch die Hegelsche Schule zurückgedrängte Philosophien,
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0760.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)