verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4 | |
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sie noch im wesentlichen dieselbe, in der Luther schrieb. Luther ist aber nicht Schöpfer dieser Sprache, welcher er durch seine Schriften, namentlich die Bibelübersetzung, eine immer allgemeinere Geltung verschafft hat, und die sogar in das Gebiet des Niederdeutschen eingedrungen ist; er sagt selbst ausdrücklich, daß er sich nicht einer „gewissen sonderlichen, eignen Sprache im Deutschen“, also nicht einer speziellen Mundart, sondern der Sprache der „sächsischen Kanzlei“ bediene, „welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland“, und welche als „die gemeine d. S.“ geeignet sei, „von Ober- und Niederländern“ verstanden zu werden. Entstanden ist aber diese Sprache „auf dem Papier“, d. h. nach und nach durch den schriftlichen Gebrauch selbst, welcher einer Sprache stets einen gewissen Typus zu verleihen pflegt, und durch Vermischung von Mundarten, unter denen selbst das Niederdeutsche nicht ganz unvertreten ist, das Österreichische aber, das schon in frühern Jahrhunderten durch die Diphthongierung des î und û zu ei und au diese Laute den ganz verschiedenen alten ei und ou näher gerückt hatte, eine Hauptrolle spielt. Aus dieser Vermischung von Mundarten, die besonders in der kaiserlichen Kanzlei stattfand, ging die deutsche Reichssprache hervor, die dann, durch den offiziellen Gebrauch bevorzugt und durch Luthers reformatorische Wirksamkeit gehoben, nach und nach die oberdeutschen Mundarten sowie das Plattdeutsche als Schriftsprache verdrängte und in Kirche, Schule und Gerichtsstube eindrang, sich als allein berechtigte in die höhern Gesellschaftskreise und von da in Familie und Haus verbreitete und ihr Gebiet von Tag zu Tag so gewaltig erweitert, daß vor ihrer Alleinherrschaft die Dialekte in den Städten bereits zu verschwinden beginnen und hier nur noch in den untersten Schichten der Gesellschaft sowie vornehmlich bei der ländlichen Bevölkerung in ungetrübter Reinheit zu finden sind. Diese Mundarten sind aber die „natürlichen, nach den Gesetzen der sprachgeschichtlichen Veränderungen gewordenen Formen der deutschen Sprache im Gegensatz zu der mehr oder minder gemachten und schulmeisterlich geregelten und zugestutzten Sprache der Schrift“. Schon hieraus ergibt sich der hohe Wert der Mundarten für die wissenschaftliche Erforschung unsrer Sprache. Sie enthalten eine reiche Fülle von Worten und Formen, die trotz ihres echt deutschen Ursprungs und Charakters von der Schriftsprache zurückgewiesen wurden, und bieten manches dar, was sich zur Erklärung der ältern Sprachdenkmale verwerten läßt und für die Entwickelungsgeschichte unsrer Schriftsprache von Bedeutung ist.
Die sämtlichen eigentlich deutschen Volksmundarten lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen: niederdeutsche (plattdeutsche) und hochdeutsche; die letztern aber zerfallen wiederum in die oberdeutschen und mitteldeutschen Mundarten. Jeder dieser drei Hauptdialekte begreift nun unzählige mehr oder weniger charakteristisch verschiedene Provinzial- und Lokaldialekte in sich. Nach Schmeller beginnt die Sprachgrenze der oberdeutschen Mundart am slawischen Sprachgebiet, unweit der Quelle des Regen, nähert sich bei Regensburg der Donau, geht dreimal über die Altmühl, überschreitet nicht weit von Donauwörth die Wernitz und folgt dem rechten Ufer derselben bis über Öttingen, wendet sich dann westwärts, geht nördlich von Schwäbisch-Hall über den Kocher, südlich von Heilbronn über den Neckar, im Süden von Rastatt über den Rhein und trifft nicht weit von den Saarquellen auf das französische Sprachgebiet. Was das Oberdeutsche am meisten charakterisiert, ist die Aussprache der Gaumenbuchstaben und die der Vorsilben be und ge. Die im Mitteldeutschen noch erhaltene Tenuis geht am Ende der Stammsilbe nach l, n, r im Oberdeutschen in die Spirans über, z. B. Kalk, oberdeutsch Kalch; Mark, oberdeutsch March. Am Oberrhein und westlich vom Lech lautet k auch im Anfang und in der Mitte der Wörter aspiriert, z. B. kalt wie kchalt, Acker wie Ackcher, Rock wie Rockch; ch wird im Donaugebiet am Ende gar nicht ausgesprochen, z. B. euch = eu’, ich = i’, lich = li’. Das e der Vorsilbe be wird im Oberdeutschen nur in gewissen Fällen, besonders vor den Schlaglauten (b, p, g, k, d, t, z), und zwar wie ê, é oder i ausgesprochen, in andern ganz übergangen; das e der Vorsilbe ge wird in Substantiven und Adjektiven oder Adverbien vor den Schlaglauten ebenfalls wie ê; é oder i ausgesprochen, außerdem aber gar nicht gehört; bleibt das e vor den Schlaglauten unausgesprochen, so fällt auch das g weg, z. B. ’Biet für Gebiet. Nach der Aussprache dieser Vorsilben und des Wörtleins „ich“ würde nun aber auch noch das Nabgebiet zum Oberdeutschen gehören, und da die Mundart des Riesengebirges große Ähnlichkeit mit dem Österreichischen hat, so dürfte vielleicht die Grenze zwischen dem Ober- und Mitteldeutschen von der Wernitz nach dem Fichtelgebirge und dann längs des Erzgebirges und des Riesengebirges nach der Oder zu ziehen sein, so daß Oberschlesien noch zum oberdeutschen Sprachgebiet zu rechnen wäre. Indes ist es nicht so ganz selten, daß in einem Bezirk sich Spracheigentümlichkeiten finden, die einem ganz andern fernen Gebiet angehören; so wiederholt sich der in Koburg gesprochene nordfränkische Dialekt teilweise wie durch ein Wunder im Großherzogtum Posen, und die Mundart des thüringischen Fleckens Ruhla offenbart eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Dialekten Tirols. Genaueres läßt sich über die Grenze zwischen dem Mitteldeutschen und Niederdeutschen beibringen. Als Schibboleth für diese Grenzbestimmung dienen die Erscheinungen der hochdeutschen Lautverschiebung, wonach das Hochdeutsche die Tenues des Niederdeutschen in Spiranten verwandelt (s. oben). Im allgemeinen bildet der Habichtswald, die natürliche Grenze zwischen Franken und Sachsen, noch heute die Sprachgrenze zwischen dem Mittel- und Niederdeutschen. Während aber die Stadt Münden und die hannöverschen Dörfer zwischen Fulda und Werra sowie weiter östlich Hedemünden an der Werra, Friedland, Duderstadt und Lauterberg noch dem niederdeutschen Sprachgebiet angehören, fallen Gerlenbach, Witzenhausen, Ahrendshausen, Heiligenstadt, Stadt Worbis und Sachsa dem mitteldeutschen Sprachgebiet zu. Östlich von Sachsa sind die nördlichsten mitteldeutschen Ortschaften: Ellrich, Sulzhain, Hasselfelde, Bernrode, Mägdesprung, Ballenstedt, Hoymb, Meysdorf, Harkrode, Sandersleben, Güsten, Staßfurt, Kalbe und Barby. Vom Einfluß der Saale an aufwärts bildet die Elbe bis gegen Wittenberg hin, namentlich bei Dessau, eine scharfe Sprachgrenze; weiter östlich erscheinen Luckau, Lübben, Guben und Züllichau jenseit der Oder als die südlichsten niederdeutschen Ortschaften. Eine oberdeutsche Sprachinsel im niederdeutschen Gebiet findet sich auf dem Harz, die Ortschaften Klausthal, Zellerfeld, Wildemann und Lauterthal auf der nördlichen und Andreasberg auf der südlichen Abdachung umfassend, wahrscheinlich Niederlassungen von oberdeutschen Bergleuten. Westlich vom Habichtswald folgt die Sprachgrenze der Wasserscheide zwischen dem Diemel-
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0782.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2021)