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Seite:Meyers b4 s0790.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

und Zauberei mißbraucht, den christlichen Aposteln ein Greuel sein mußte. An ihre Stelle trat bei den Goten Ulfilas’ Schrift, welche derselbe mit Benutzung der Runenschrift auf der Grundlage der griechischen bildete, bei den andern germanischen Stämmen das lateinische, d. h. das christliche, Alphabet. Mit dieser neuen Schrift kam auch das fremde Wort „schreiben“ (lat. scribere) auf. Die lateinische Schrift verlor aber durch die schnörkelnde Hand der Mönche ihre ursprüngliche runde Gestalt, und so entstand unsre deutsche (sogen. gotische) Schrift, die ihre endgültige, noch jetzt bestehende Form übrigens durch keinen Geringern als A. Dürer empfing. J. Grimm verdammt bekanntlich wie diese sogen. deutsche Schrift, so auch die großen Anfangsbuchstaben (Majuskeln) der Substantiva, die sich in griechischen und lateinischen Büchern, namentlich auch in deutschen Handschriften des Mittelalters und noch in den Drucken des 15., zum Teil des 16. Jahrh., nur im Beginn der Sätze und Reihen und bei Eigennamen angewendet finden, wobei sich aber Spuren ihres Gebrauchs bis ins 14. und 13. Jahrh. hinauf bei Urkundenschreibern zeigen, denen geringere Sprachkunde beiwohnte als den Abschreibern der Bücher. Erst im Lauf des 16. Jahrh. drang diese schwankende Anwendung der großen Buchstaben in unsre Drucke, und zwar gab man sie außer den Eigennamen erst den Appellativen, allmählich den sächlichen und abstrakten, endlich allen und jeden Substantiven, ein Gebrauch, der sich endlich im 17. Jahrh., also zu einer Zeit, in welcher unsre Sprache und Litteratur im tiefsten Verfall waren, recht eigentlich und, wie es scheint, für immer festsetzte. Zum ganzen Artikel vgl. Bahder, Die deutsche Philologie im Grundriß (Paderb. 1882).

Deutsches Recht. Der mit diesem Ausdruck verbundene Begriff ist ein verschiedener, je nachdem man dabei das Herrschaftsgebiet oder den Ursprung der Rechtsnormen im Auge hat. In ersterer Beziehung versteht man unter deutschem Rechte das in Deutschland geltende Recht, während man mit Rücksicht auf den Entstehungsgrund damit das aus deutschnationalen Rechtsquellen hervorgegangene Recht bezeichnet. Das in Deutschland geltende Recht ist nämlich keineswegs durchweg nationalen Ursprungs; dasselbe zeigt vielmehr insofern einen Dualismus, als in Deutschland neben den auf deutschen Rechtsquellen beruhenden Rechtssatzungen auch fremde Rechte in bedeutendem Umfang rezipiert worden sind. Allerdings findet sich bei den germanischen Völkerschaften ursprünglich nur nationales Recht, freilich, da die einzelnen deutschen Volksstämme keinen einheitlichen Staat bildeten, auch kein einheitliches Recht. Die Rechte der einzelnen deutschen Stämme waren auch sehr spärlicher Natur, da, wie Tacitus bemerkt, bei ihnen mehr auf gute Sitten als auf gute Gesetze gehalten wurde, und diese geringe Anzahl von Rechtssatzungen wurde lediglich durch ungeschriebenes Gewohnheitsrecht fortgepflanzt. Geschriebenes Recht findet sich zuerst bei den salischen Franken, welchen dann seit dem 5. Jahrh. auch andre Volksstämme mit geschriebenen Gesetzessammlungen in lateinischer Sprache, den sogen. „Leges barbarorum“, folgten. Neben diesen Volksrechten waren später in der fränkischen Monarchie, zu welcher auch Deutschland gehörte, die Verordnungen der Könige, die sogen. Kapitularien, welche vorzugsweise die Gerechtsame der Könige behandelten, von Bedeutung. Von einem eigentlichen deutschen Nationalrecht aber kann erst die Rede sein, nachdem ein selbständiges Deutsches Reich gegründet und nachdem mit der Absetzung Karls des Dicken 887 die politische Trennung Deutschlands und Frankreichs bleibend vollzogen worden war. Indessen war die Reichsgesetzgebung in den zunächst folgenden Jahrhunderten eine nur spärlich fließende Rechtsquelle; die Rechtsentwickelung vollzog sich vielmehr vorzugsweise in dem engern Rahmen der städtischen oder sogen. Weichbildrechte, z. B. von Magdeburg, Lübeck und Köln, und die geltenden Rechtsnormen wurden in Privatsammlungen, den sogen. Rechtsbüchern des Mittelalters, zusammengestellt. Unter diesen letztern nehmen der Sachsenspiegel, der um 1230 entstand, und der wahrscheinlich zu Ausgang des 13. Jahrh. verabfaßte Schwabenspiegel die erste Stelle ein. Ersterer ist das Bild des damaligen norddeutschen Rechtslebens, der letztere vorzugsweise das Produkt der süddeutschen Rechtsentwickelung.

Bevor jedoch das deutsche Recht zu einer konsequenten Aus- und Durchbildung gelangt war, hatten nach und nach auch fremde Rechte, nämlich das römische und kanonische Recht, wie es sich im Corpus juris civilis und im Corpus juris canonici darstellt, sowie das langobardische Lehnrecht, die sogen. Libri feudorum, in Deutschland Eingang gefunden. Es waren verschiedene Umstände, welche diese Rezeption des fremden Rechts in Deutschland herbeiführten und erleichterten; namentlich der Umstand, daß man das sogen. römische Reich deutscher Nation als eine Fortsetzung des alten römischen Kaiserreichs, die deutschen Kaiser als die Nachfolger der römischen Imperatoren und folgeweise auch das römische Recht als das eigentümliche Recht des Deutschen Reichs auffaßte. Dazu kamen die humanistische und romanisierende Richtung des 15. und 16. Jahrh., die Ehrfurcht und Bewunderung, welche dem klassischen Altertum und seinen Überresten gezollt ward, und daneben der Einfluß der Geistlichkeit, welche in den damaligen geistlichen Gerichten nach römischem Recht entschied und zugleich die kanonisch-rechtlichen Satzungen der Päpste verbreitete. Ebenso war hierfür auch das Studium des römischen und kanonischen Rechts von großem Einfluß, welches seit dem 12. Jahrh. zuerst auf den Universitäten Oberitaliens, namentlich in Bologna, aufblühte und nachmals auch auf den deutschen Universitäten und zwar lange Zeit hindurch in ausschließlicher Weise gepflegt ward. Endlich kam noch die Berufung von Doktoren des römischen Rechts in das 1495 errichtete Reichskammergericht hinzu, welch letzteres ebenfalls in erster Linie das römische Recht zur Grundlage seiner Urteilssprüche machte. So kam es, daß jene fremden Rechtsquellen zum gemeinen Recht Deutschlands geworden und namentlich auf dem Gebiet des Privatrechts zum großen Teil an die Stelle des nationalen Rechts getreten sind. Nur diejenigen Rechtsinstitute, welche mit dem deutschen Nationalcharakter und mit dem deutschen Volksleben im innigsten Zusammenhang standen und den eigentlichen Ausdruck deutscher Rechtsanschauung bildeten, behaupteten neben dem fremden Recht ihre Geltung, indem sie durch Gewohnheitsrecht und teilweise auch durch die Gesetzgebung des Deutschen Reichs ihre weitere Ausbildung fanden. Doch war diese Reichsgesetzgebung fast nur auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, namentlich des Staatsrechts und des Prozesses, thätig, so z. B. durch den Erlaß der verschiedenen Reichskammergerichts- und Reichshofratsordnungen und durch die Bestimmungen im jüngsten Reichsabschied von 1654, sowie auf dem Gebiet des Strafrechts, in welch letzterer Beziehung namentlich die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (die sogen. Carolina),

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0790.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2021)
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