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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

in hoher Gunst steht. Unter Heines Namen erschien dann die Broschüre Wesselhöfts: „Kahldorf über den Adel, in Briefen an den Grafen M. von Moltke“ (Hamb. 1831), zu welcher H. eine kraftvolle Einleitung geschrieben hatte. Es folgten die „Beiträge zur Geschichte der neuen schönen Litteratur in Deutschland“ (Hamb. 1833, 2 Bde.); „Französische Zustände“ (eine mit einer geharnischten Vorrede ausgestattete Sammlung seiner aus Paris für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ geschriebenen Aufsätze, das. 1833) und „Der Salon“ (4 Bde., das. 1835–40 u. öfter). Wiewohl dies Buch in einzelnen Partien voll der grellsten Cynismen ist, so werden sie doch durch übersprudelnden Witz gemildert, und namentlich sind die „Memoiren des Herrn v. Schnabelewopski“ ein humoristisches Meisterwerk. Heines Ansehen stieg, als der Bundestag, gegen das junge Deutschland einschreitend, auch Heines ganze litterarische Existenz auszulöschen versuchte und sowohl seine vorhandenen als auch seine künftig erscheinenden Schriften in der 31. Sitzung von 1835 verbot. H. beklagte sich laut und bitter über dies ohne Verhör und Verteidigung gefällte Verdammungsurteil; gegen seinen Hauptankläger, W. Menzel, aber richtete er eine scharfe Schrift: „Über den Denunzianten“ (Hamb. 1837). Auf „Die romantische Schule“ (Hamb. 1836) und „Shakespeares Mädchen und Frauen mit Erläuterungen“ (Par. u. Leipz. 1839) folgte Heines mit Recht am meisten getadelte Schrift „H. über Börne“ (Hamb. 1840) und seine „Neuen Gedichte“ (das. 1844, 10. Aufl. 1872), die zwar im ganzen denselben Ton anschlagen wie das „Buch der Lieder“, aber weit absichtlicher polemisieren, daher ihre Pointen weit gröber und cynischer sind. Die träumerische Sentimentalität, die Innigkeit des Augenblicks, so fesselnd und zauberisch im „Buch der Lieder“, tritt hier nur noch vereinzelt auf; dafür überwiegt die materialistisch-ironische Negation edlerer Empfindungen und Lebenserscheinungen. Das auch besonders erschienene Gedicht „Deutschland, ein Wintermärchen“ bezeichnet die Wendung, welche die deutsche Poesie seit 1840 zur Politik hin machte. Das eben genannte Gedicht ist Heines witzigstes Erzeugnis; es gibt satirische Schilderungen deutscher Zustände, angereiht an den zufälligen Faden einer Reise, die der Dichter von Paris nach Hamburg machte. Mit zügellosem Humor, der nur allzu oft in vergifteten Hohn und cynische Polemik umschlägt, schildert der Dichter die deutschen Zustände der 40er Jahre, geißelt die militärische Pedanterie, die verzopfte Kleinstädterei, die romantischen Neigungen König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, die Kindereien des deutschen Liberalismus und hundert andre Dinge, überschüttet mit der gleichen Lauge des Spottes edle und unedle Naturen, berechtigte wie thörichte Bestrebungen, kehrt den ganzen Gegensatz seiner spätern Lebensanschauungen gegen deutsche Gemütsart und Natur hervor und läßt höchstens ein sehr unbestimmtes Pariser Freiheitsideal zwischen die Schilderung der deutschen Armseligkeiten hereinleuchten. Eine Apotheose der echten Poesie und zugleich eine Satire auf deren Entstellungen ist das allegorische Epos „Atta Troll“ (Hamb. 1847). Dasselbe ist gegen die Ausschreitungen des philosophischen Radikalismus und der politischen Lyrik gerichtet und eine „glänzende Parodie der plumpen, unkünstlerischen Gesinnungspoeten und ihrer andressierten Künste“. Der humoristische Stil hat darin eine klassische Ruhe gewonnen, und das Gedicht ist reich an Stellen echter Poesie, frischester Naturlyrik und mächtiger Gedankengewalt. Die Schrift „Heines politisches Glaubensbekenntnis oder Epistel an Deutschland“ (Leipz. 1848) ist nur ein unbefugter Wiederabdruck seiner Vorrede zu den „Französischen Zuständen“. Später folgten noch der „Romanzero“ (Hamb. 1851, 6. Aufl. 1872), der alle Vorzüge und Fehler der Heineschen Muse in sich trägt, und das fratzenhafte Tanzpoem „Der Doktor Faust“ (das. 1851); ferner: „Die verbannten Götter“ (Berl. 1853) und „Vermischte Schriften“ (Hamb. 1854, 3 Bde.), letztere meist aus interessanten Berichten an die „Allgemeine Zeitung“ zusammengestellt. Nachdem lange Zeit hindurch von ausgedehnten „Memoiren“ Heines die Rede gewesen, deren Existenz und deren absichtliche Unterdrückung namentlich Alfred Meißner behauptete, trat ein nur die frühste Jugend besprechendes Fragment: „Heinrich Heines Memoiren“ (hrsg. von F. Engel, Hamb. 1884), ans Licht. Eine Gesamtausgabe der Werke Heines, besorgt von A. Strodtmann, erschien Hamburg 1861–66 (21 Bde.; neue Ausg., das. 1867; Volksausgabe mit Biographie von Karpeles, das. 1885, 12 Bde.); kritische Ausgaben besorgten Karpeles (Berl. 1886–87, 9 Bde.) und Elster (Leipz. 1887, 7 Bde., mit Biographie). Aus dem Nachlaß des Dichters erschienen „Letzte Gedichte und Gedanken von Heinrich H.“ (Hamb. 1869). In französischer Sprache erschienen sie (von Saint-René Taillandier, Gérard de Nerval u. a., die Gedichte in Prosaübersetzung) als „Œuvres complètes“ zu Paris seit 1852 in 14 Bänden, davon 7 Bände zu des Dichters Lebzeiten und unter seiner eignen Redaktion; Versuche metrischer Übertragungen seiner Gedichte liegen vor von Marelle („Poésies choisies“, 2. Aufl. 1864), Ristelhuber („Lyrisches Intermezzo“), Buchon, Schuré. Das „Buch der Lieder“ wurde ins Englische übertragen von Wallis (Lond. 1856), E. A. Bowring („Complete poems“, 2. Aufl. 1866), Leland (Philad. 1864), der auch eine Übersetzung der „Reisebilder“ (neue Ausg., das. 1868) lieferte, und von Stratheir (1882); ins Italienische von Zendrini (mit den „Neuen Gedichten“, 2. Aufl., Flor. 1867), der auch eine Biographie Heines (das. 1865) schrieb, und von Varese (das. 1886), endlich sogar ins Japanische. Die Unechtheit der von Steinmann herausgegebenen „Briefe“ (Amsterd. 1861–1862, 2 Tle.) und „Dichtungen“ (das. 1860, 2 Bde.) Heines ist bis zur Evidenz nachgewiesen worden.

Heines Name ist unsterblich in der deutschen Litteraturgeschichte; insbesondere als lyrischer Dichter muß er als gewissermaßen epochemachend bezeichnet werden. Das reichste und glänzendste lyrische Talent der nachgoethischen Zeit, rang er sich „im Zwiespalt einer zugleich träumerisch poetischen und unruhig eiteln, einer weltschmerzlich verstimmten und zugleich knabenhaft hoffnungsvoll der Bewegung der Zeit vertrauenden Natur zu keiner läuternden höhern Einsicht empor. Aber bis an das Ende seines Lebens quoll zu guter Stunde die echte lyrische Ader; neben den genial liederlichen Cynismen entströmten ihm einzelne Gedichte voll Adel, Wohllaut, voll jenes weichsten lyrischen Zaubers, der die Seele löst“, welche im „Buch der Lieder“ der Zahl und Bedeutung nach noch überwiegen. Die Kraft und Lebendigkeit von Heines Poesie haben daher auch dessen entschiedenste Gegner zugestanden, aber ihm nicht mit Unrecht die schamlose Nacktheit und Rücksichtslosigkeit vorgeworfen, mit der sie im Bewußtsein, daß sie eben Poesie sei, sich nicht darum kümmere, was sie sonst noch sei, und die poetische Freiheit von der Form auf die Materie ausdehne. Mit Börne gehört H. zu denen, welche, ohne die große weltgeschichtliche Katastrophe von 1830 zu ahnen, unbewußt die Gemüter in Deutschland für

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0305.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2024)
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