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Seite:Meyers b8 s0787.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

der Nationalversammlung beiwohnte, und begab sich dann nach Weimar, wo er den Winter 1789/90 verlebte. Hier trat er in den lebhaftesten Verkehr mit dem Koadjutor v. Dalberg, dem spätern Fürsten-Primas, machte die Bekanntschaft von Karoline v. Dachröden, seiner spätern Gemahlin, und wurde durch diese mit Schiller bekannt. Im Sommer 1790 wurde er zu Berlin als Legationsrat und Assessor beim Kammergericht angestellt; doch gab er die neue Stellung im Frühling 1791 wieder auf und verlebte die folgenden Jahre auf seinen Gütern im Mansfeldischen und Thüringischen sowie in Erfurt, wo er sich fast ausschließlich mit Altertumsstudien beschäftigte. Er schrieb damals freisinnige „Ideen über Staatsverfassungen, durch die französische Revolution veranlaßt“ und gleich nachher „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit eines Staats zu bestimmen“, beides Schriftchen, die nicht im Druck, wofür sie eigentlich bestimmt waren, erschienen (nur letztere wurde später, Bresl. 1851, veröffentlicht), aber für die der Zeit weit vorauseilende freisinnige politische Anschauungsweise des Verfassers, welcher die französische Revolution als den Anfangspunkt einer neuen Ära begrüßte, den deutlichsten Beweis lieferten. Seit 1794 lebte er in Jena in vertrautem Umgang mit Schiller und einem engen Kreis von gleichgesinnten Freunden in reger Geistesthätigkeit, ebenso von diesen zu eignen wissenschaftlichen Arbeiten angeregt wie die Freunde anregend, wie denn mehrere Gedichte Schillers unter seiner Einwirkung entstanden. Ein schönes Denkmal dieser bis zu Schillers Tode dauernden Freundschaft bildet der später von H. veröffentlichte „Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. H.“ (Stuttg. 1830, 2. Ausg. 1876). Nach mehrfachen Reisen verweilte H. von 1797 bis 1799 mit seiner Familie in Paris, um dann einen längern Aufenthalt in Spanien zu nehmen, von wo er mit reicher wissenschaftlicher Ausbeute heimkehrte. 1801 nahm er auf den Wunsch der preußischen Regierung die Stelle eines Ministerresidenten in Rom an und blieb hier bis 1808, seit 1806 als bevollmächtigter Minister. Rom war für ihn ein geeignetes Feld zu seinen wissenschaftlichen Studien, die er hier, im lebendigen Verkehr mit Gelehrten und Künstlern, auch über philosophische, ästhetische, philologische und archäologische Gegenstände ausdehnte. 1808 mit der Leitung des Ministeriums des Kultus und des öffentlichen Unterrichts betraut, war er der eigentliche Gründer der Berliner Universität, die er nicht bloß mit tüchtigen Lehrern, sondern auch mit der umfassendsten Hör- und Lehrfreiheit auszustatten suchte. 1810 ward er Geheimer Staatsminister, begleitete 1813–14 das königliche Hauptquartier, leitete im Sommer 1813 als preußischer Bevollmächtigter die Verhandlungen in Prag, welche zum Anschluß Österreichs an die Alliierten führten, nahm vom 3. Febr. bis 15. März 1814 an dem erfolglosen Friedenskongreß von Châtillon teil und war in Paris bei den Verhandlungen des ersten Pariser Friedens thätig. In Gemeinschaft mit dem Staatskanzler Hardenberg, der ihm aber völlig freie Hand ließ, lag ihm auf dem Wiener Kongreß 1814–15 hauptsächlich die Behandlung der deutschen Frage ob; aber all sein Bemühen zur Erringung einer einheitlichen Verfassung und freier Institutionen für Deutschland scheiterte an den Gegenwirkungen namentlich der österreichischen Diplomatie. Nicht glücklicher war er bei den nach Napoleons zweitem Sturz 1815 eröffneten neuen Friedensunterhandlungen zu Paris, wo es ihm nicht gelang, die Abtretung des Elsaß zu erreichen. Am 25. Nov. reiste H. von Paris ab, um als Mitglied der Territorialkommission zu Frankfurt a. M. die deutschen Gebietsverhandlungen ihrem Ende zuführen zu helfen. Als Ersatzmann des preußischen Bundestagsgesandten, des Grafen von der Goltz, war er bei der feierlichen Eröffnung des Bundestags 25. Nov. 1816 zugegen und trug viel zur Regelung der Geschäftsordnung desselben bei. Im Frühling 1817 ging er nach Berlin, ward hier unter die Mitglieder des neugebildeten Staatsrats aufgenommen sowie in den zur Entwerfung der verheißenen Verfassung niedergesetzten Ausschuß berufen und zum Vorsitzenden der zur Beratung des Bülowschen Steuerverfassungs-Gesetzentwurfs niedergesetzten Kommission ernannt. Auch im Staatsrat that er sich durch seine Freisinnigkeit hervor. Deshalb ward er 1817 als außerordentlicher Gesandter nach London und im Oktober 1818 nach Aachen geschickt. Nachdem durch die Kabinettsorder vom 11. Jan. 1819 das Ministerium des Innern eine neue Organisation erhalten hatte, übernahm er die Leitung der ständischen und Kommunalangelegenheiten mit einer Reihe andrer Verwaltungsgegenstände als eine eigne Branche mit Sitz und Stimme im Staatsministerium. Sein Drängen nach endlicher Durchführung des Verfassungswerks, sein Auftreten gegen die Karlsbader Beschlüsse, welche er für „schändlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend“ erklärte, und seine Opposition gegen Hardenberg zogen ihm endlich die Ungnade des Königs zu und bewirkten 31. Dez. 1819 seinen Rücktritt ins Privatleben. Mit ihm traten Boyen und Beyme aus dem Ministerium; erst von 1830 an wurde er wieder zu den Sitzungen des Staatsrats berufen. Seit seinem Rücktritt lebte H. mit geringen Unterbrechungen durch Reisen nach Gastein und 1828 nach Paris und London auf Schloß Tegel, wo er eine auserlesene Sammlung von Meisterwerken der Skulptur besaß. Er starb 8. April 1835 daselbst. Zur Belohnung seiner Verdienste hatte er 1818 die schlesische Herrschaft Ottmachau erhalten; 1884 wurde ihm, wie seinem Bruder, vor der Universität in Berlin ein Denkmal (sitzende Marmorstatue von Otto im Rom) errichtet.

Was Humboldts litterarische Arbeiten betrifft, so erschienen die frühsten in den „Ästhetischen Versuchen“ (Braunschw. 1799, Bd. 1) gesammelt. Es sind Kritiken über Goethes „Hermann und Dorothea“ und „Reineke Fuchs“ sowie Schillers „Spaziergang“, von denen erstere auch separat (4. Aufl. mit Einleitung von Hettner, Braunschw. 1882) erschien. In das Gebiet der Ästhetik gehören ferner seine „Rezension über Jacobis Woldemar“, worin er sein philosophisches Ideal aufstellt, und die die Schellingsche Natur- und Identitätsphilosophie gleichsam antizipierenden Abhandlungen: „Über den Geschlechtsunterschied“ und „Über männliche und weibliche Form“. Wichtige Beiträge zur Kenntnis der griechischen Sprache und Verskunst gibt seine metrische Übersetzung des „Agamemnon“ von Äschylos (Leipz. 1816, neue Ausg. 1857), der sich die Übertragung der zweiten olympischen Ode des Pindar, ferner des Simonides und mehrerer Chöre aus den „Eumeniden“ anschließt. Die gründlichsten und umfassendsten Studien wandte aber H. der vergleichenden Sprachforschung zu. Als Früchte seiner Forschungen über die baskische Sprache sind seine „Berichtigungen und Zusätze zu Adelungs Mithridates über die kantabrische oder baskische Sprache“ (Berl. 1817) und die in der That mustergültige „Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der baskischen Sprache“ (das. 1821) zu nennen. Seine erfolgreiche Beteiligung an den in Deutschland

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0787.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2022)
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