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Seite:Meyers b9 s0134.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9

eine neue Sammlung für sich ins Werk zu setzen. Doch war auch sein Haus eine allezeit gastliche Stätte für turnerische und patriotische Freunde. 1848 wurde er von dem Wahlkreis seines Wohnorts in das deutsche Parlament gewählt; aber so sehr sich die Einheitsträume seiner besten Zeit jetzt verwirklichen zu können schienen, so wenig wußte er sich in die neue Zeit zu finden und gehörte nach stark radikalen Anwandlungen schließlich zu den konservativsten Elementen der Versammlung, in der er nur selten, z. B. zur Befürwortung des erblichen Kaisertums mit preußischer Spitze, das Wort ergriff. Er kehrte innerlich gebrochen und um einen guten Teil seiner Popularität, auch in turnerischen Kreisen, gebracht nach Freiburg zurück, wo er 15. Okt. 1852 starb. Wenn durch die Schwächen, die in den letzten Jahrzehnten seines Lebens mehr und mehr hervortraten, wie durch die ungefügen, oft an das Rohe und Renommistische streifenden Seiten seines Wesens überhaupt die Erinnerung an seine Persönlichkeit bei seinen Zeitgenossen sicher getrübt worden ist, so gilt es einmal zu bedenken, daß man ihn in der besten Zeit seines Schaffens von dem eigentlichen Boden desselben losgerissen und zu einem Leben verurteilt hat, das für einen Mann seines Schlags nur Müßiggang und selbstgefälliges Zehren von altem Ruhm bedeuten konnte, und ferner, daß ihn eine Zeit gereift hat, in der es not that, in bewußtem Gegensatz zu Überfeinerung und Verweichlichung ein gesundes, wehrhaftes Geschlecht heranzuziehen. Jahns großes patriotisches Verdienst kennzeichnet am besten der Ausspruch in einem Bericht der Bundestagskommission, daß er es sei, „der die höchst gefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands aufgebracht“. Sein „Deutsches Volkstum“ und seine ganze Thätigkeit bis zu seiner Verhaftung gaben ihm allerdings das Recht, sich hieran ein wesentliches Verdienst zuzuschreiben, und wenn sein deutscher Patriotismus in einem stark entwickelten preußischen und dazu in entschiedenem Franzosenhaß seinen stärksten Rückhalt fand, so entspricht das doch nur dem Verlauf unsrer Einheitsbewegung. J. ist auch der eigentliche geistige Urheber der Burschenschaft. Auch seine Bemühungen um unsre Sprache sichern ihm, wenn ihnen auch die feste wissenschaftliche Grundlage fehlt, das Verdienst, die Ergiebigkeit der Mundarten für die Bereicherung der Schriftsprache erkannt und durch zahlreiche lebensfähige Wortschöpfungen, besonders auf dem Gebiet der Turnkunst, gezeigt zu haben. Auch erhebt sich seine Sprache trotz unverkennbarer selbstgefälliger Künstelei doch nicht selten, wie z. B. in den bekannten Worten auf Friesen, zu wahrhaft klassischer Schönheit. Die nachhaltigste Erinnerung sichert ihm die Turnkunst. Nicht nur, daß er durch Einführung von Geräten die Entwickelung einer großen Übungsmannigfaltigkeit anbahnte, so hat er durch den engen Zusammenhang, den er seinen turnerisch-erzieherischen Bestrebungen mit dem nationalen Gedanken und Bedürfnis zu wahren wußte, und durch die begeisternde Gewalt seiner Persönlichkeit dem Turnen erst seine bleibende Stätte in Deutschland gesichert, und mit Recht nennt man ihn so den „Turnvater“ und hat ihm als solchem 1872 auf dem Turnplatz in der Hasenheide ein Erzstandbild von Enckes Hand auf einem Steinhügel errichtet, zu dem Deutsche aus allen Gauen und selbst aus überseeischen Erdteilen Steinblöcke gesendet. Die 1863 gegründete und in Leipzig verwaltete Pensionskasse für Turnlehrer und deren Hinterbliebene nennt sich Jahn-Stiftung (vgl. „Turnzeitung“ 1866, Nr. 8). Jahns Werke wurden zum erstenmal gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben von Euler (Hof 1883–87, 2 Bde.). Sein Leben beschrieben Pröhle (Berl. 1855) und Euler (Stuttg. 1881, nur die Hauptzeit seines Wirkens bis 1819 eingehend behandelnd), in kürzerer Fassung Angerstein (das. 1861), Diesterweg (Frankf. 1864) und Rothenburg (Mind. 1871).

2) Heinrich Albert, Geschichts- und Altertumsforscher, geb. 9. Okt. 1811 zu Bern, war 1840–47 Unterbibliothekar der Stadtbibliothek daselbst, trat 1853 in den eidgenössischen Staatsdienst und bekleidete 1869–79 die Stelle eines Sekretärs im Departement des Innern. Er schrieb: „Der Kanton Bern“ (Bern u. Zür. 1850); die „Chronik des Kantons Bern“ (das. 1857); „Die keltischen Altertümer der Schweiz“ (Bern 1860); „Die Pfahlbaualtertümer von Moosseedorf“ (mit Uhlmann das. 1857); „Emmenthaler Altertümer und Sagen“ (das. 1865); „Bonaparte, Talleyrand et Stapfer“ (das. 1869); „Die Geschichte der Burgundionen“ (Halle 1874, 2 Bde.).

3) Otto, Archäolog, Philolog und Musikschriftsteller, geb. 16. Juni 1813 zu Kiel, besuchte das dortige Gymnasium, dann Schulpforta und widmete sich zuerst zu Kiel unter Nitzsch, dann in Leipzig unter Hermann, seit 1833 zu Berlin unter Lachmann und Gerhard philologischen und archäologischen Studien. Eine Reise durch Frankreich und Italien (1836–39) und ein längerer Aufenthalt in Rom führten ihn dem Studium der lateinischen Inschriftenkunde zu, als dessen Frucht später sein „Specimen epigraphicum in memoriam Kellermanni“ (Kiel 1842) erschien. Nach seiner Rückkehr 1839 habilitierte er sich zu Kiel, ging 1842 als außerordentlicher Professor der Archäologie und Philologie nach Greifswald und ward hier 1845 ordentlicher Professor. 1847 als Professor der Archäologie nach Leipzig berufen, gründete er hier eine Archäologische Gesellschaft und ward Direktor des archäologischen Museums. Wegen Beteiligung an den nationalen Bestrebungen der Jahre 1848 und 1849 ward er 1851 seines Amtes entsetzt, worauf er in Leipzig privatisierte. Im J. 1855 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor der Altertumswissenschaft und Direktor des akademischen Kunstmuseums nach Bonn, wo er auch die Übungen des archäologischen und von 1861 an in Gemeinschaft mit Ritschl die des philologischen Seminars leitete. 1867 wurde er an Gerhards Stelle nach Berlin berufen, starb aber, noch ehe er die neue Stelle angetreten, nach langem Siechtum 9. Sept. 1869 in Göttingen, wohin er zum Besuch seiner Freunde gereist war. Von seinen zahlreichen archäologischen Arbeiten, welche für die Archäologie durch feinsinnige Kritik und durch sein ausgebildetes Kunstgefühl epochemachend sind, heben wir hervor: „Telephos und Troilos“ (Kiel 1841); „Die Gemälde des Polygnot“ (das. 1841); „Pentheus und die Mänaden“ (das. 1842); „Paris und Oinone“ (Greifsw. 1845); „Die hellenische Kunst“ (das. 1846); „Peitho, die Göttin der Überredung“ (das. 1846); „Über einige Darstellungen des Parisurteils“ (Leipz. 1849); „Die Ficoronische Cista“ (das. 1852); „Beschreibung der Vasensammlung des Königs Ludwig“ (mit ausführlicher Einleitung über Vasenkunde, Münch. 1854); „Über den Aberglauben des bösen Blicks“ (1855); „Die Wandgemälde des Columbariums in der Villa Pamfili“ (das. 1857); „Der Tod der Sophonisbe“ (Bonn 1859); „Die Lauersforter Phalerä erläutert“ (das. 1860); „Darstellungen griechischer Dichter auf Vasenbildern“ (Leipz. 1861); „Römische Altertümer aus Vindonissa“ (Zürich 1862); „Über bemalte Vasen mit Goldschmuck“ (das. 1865); „Über Darstellungen des Handwerks und Handelsverkehrs“ (das. 1868) etc. Gesammelt sind dieselben zum

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b9_s0134.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)
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